Todeskind: Thriller (German Edition)
vergeben.«
»Und an wen?«
»Maynard.«
»Ach, du lieber Himmel, Joseph. Clay Maynard kriegt große Kuhaugen, wenn er Stevie Mazzetti sieht.«
Joseph starrte seinen Vater an. »Woher weißt du das alles?«
»Weil ich zuhöre, wenn die Ladys zum Mojito-Gelage herkommen.«
»Zu was, bitte?«
»Eigentlich ist es ein Mädelsabend. Paige und Daphne haben damit angefangen, und bevor ich mich’s versah, waren Zoe und deine Mutter, Holly und Lisa und Judy eingetragene Mitglieder dieses Mojito-Clubs. Daphnes Mutter und Maggie sind auch dabei, manchmal sogar Stevie. Gelegentlich kommt ihre Schwester Izzy mit. Aber wer immer dabei ist, sie quatschen, gucken kitschige Filme und machen sich die Nägel.« Er schüttelte den Kopf. »Deine Mutter liebt diese Abende. Und ich bin still, höre zu und erfahre alles Mögliche.«
»Du darfst einfach dabei sein und zuhören?«
»Tja, was denkst du, wer macht wohl die Mojitos? Aus mir ist ein richtig guter Barmixer geworden. Ich kann sogar Chocolate Martinis.« Sein Vater grinste, doch dann wurde sein Grinsen ein wenig reuig. »Deine Mutter und ich wollen nicht im Privatleben unserer Kinder herumschnüffeln. Nicht viel jedenfalls. Aber wir wissen, wie unglücklich du gewesen bist, Joseph. Wir wünschen uns für dich ein Leben, wie wir es haben. Wir wollen, dass du jemand findest, mit dem du alt werden und deinen Kindern peinlich sein kannst, wenn sie dich in kompromittierenden Stellungen erwischen.«
Josephs Kehle schnürte sich zusammen. »Ich hätte nur allzu gerne, was ihr habt, Dad.«
Sein Vater schluckte hörbar. »Weißt du, ich hab den ganzen Tag an Ford denken müssen. Er ist ein toller Kerl, und der Gedanke, dass ihm etwas zustößt, ist mir unerträglich. Deine Mutter kam vorhin rein und fand mich hier sitzen und ins Feuer starren. Sie setzte sich auf meinen Schoß, um mich zu trösten. Und dann … ist es einfach noch ein bisschen besser geworden.« Er schwieg eine lange Weile. »Nach all den Jahren weiß sie immer noch, was ich brauche, bevor ich es selbst kapiere. Wenn du nur ein Zehntel von dem bekommst, was deine Mutter und ich haben, wirst du sehr glücklich sein. Und ich werde der glücklichste Vater der Welt sein.«
Die Flammen vor Josephs Augen verschwammen. Er räusperte sich und flüsterte: »Aber was soll ich bloß machen, wenn ich ihr Ford nicht zurückbringen kann?«
»Schlag dich nicht mit solchen Problemen herum, bevor sie tatsächlich auftreten, Joseph. Ich habe nicht behauptet, dass es leicht werden wird.«
Sein Vater war kein Mensch, der wohlmeinend nichtssagende Sprüche klopfte, und genau das rechnete Joseph ihm hoch an. »Wirklich lohnende Dinge sind nie einfach«, sagte er.
»Blödsinn«, gab sein Vater zurück. »Wer hat denn so einen Quatsch verzapft?«
Josephs Mundwinkel wanderte aufwärts. »Du. Du hast mir das gesagt, als ich noch auf der Highschool war.«
»Wirklich? Tja, nun. Es ist trotzdem Quatsch. Manchmal liegen die wertvollsten Dinge direkt vor deiner Nase. Wir tun nur so, als wäre es schwierig, sie zu bekommen, weil sie uns dann noch wertvoller erscheinen. Du machst dir das Leben zu kompliziert, Joseph. So muss es nicht sein.« Er stand auf und klatschte in die Hände. »Hast du Hunger?«
»Ja. Und wie. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
»Dann komm mit. Ich mach dir was.«
West Virginia
Dienstag, 3. Dezember, 23.50 Uhr
Einen Fuß. Vor den anderen. Den Kopf gegen den Wind gesenkt, zwang Ford seine eingefrorenen Füße immer weiter vorwärts. Nur noch ein paar Schritte, dann wäre er oben auf dem Gipfel des Berges angelangt.
Wie viele Hügel war er so hinaufgetrottet? Fünfzig? Sechzig? Hundert? Ich bin so müde.
Er dachte längst nicht mehr mit jedem Atemzug daran, Kim zu retten. All sein Denken und Fühlen war reduziert auf ein einziges Wort.
Erfrierungen. Bei jedem Kontakt seiner bleischweren Füße mit dem Boden jagte der Schmerz seine Beine hinauf. Ich verliere meine Füße. Bitte, lieber Gott, mach, dass mich jemand findet. Bitte. Bevor es zu spät ist.
Der Weg unter ihm begradigte sich. Er war oben angekommen. Aber er traute sich nicht aufzublicken. Er war schon so oft enttäuscht worden.
Bitte. Ein Haus. Ein Licht. Irgendwas. Er biss die Zähne zusammen und hob langsam den Kopf, bis er die Welt vor sich sehen konnte.
»Nein«, stöhnte er. Alles, was er sah, war Finsternis. Schattierungen von Schwarz und Dunkelgrau. Kein Licht. Kein Haus. Nur Bäume. Ein Weg. Und der nächste
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