Todeskind: Thriller (German Edition)
Mitch.
»Peilsender«, lallte der Alte. »Wusste, dass du das gestern warst. Matthew hat dich für zu blöd gehalten, aber ich hab ihm gesagt, er soll … Sender unter deine Autos kleben. Aber dass du hierhin wolltest … was ist hier überhaupt?«
»Daphne.«
Die Augen des Alten traten hervor. Er versuchte zu kämpfen, doch das Ketamin wirkte jetzt schnell. Sein Fausthieb ging ins Leere, und er fand sich am Boden wieder. »Fass sie nicht an.«
»O doch, und ob ich sie anfasse. Ich bring sie um.«
»Warum denn?« Der gequälte Aufschrei war Musik in Mitchs Ohren. Der Alte richtete sich mühsam wieder auf.
»Wegen meiner Mutter. Meine Mutter hat sich selbst getötet, weil Daphne ihr den Mann, den sie liebte, gestohlen hat. Nicht zu fassen, dass sie ihr Leben für ein Stück Scheiße wie dich weggeworfen hat.«
Der Alte heulte auf, sackte aber wieder in sich zusammen. Mitch sprang vor, legte sich den Arm seines Stiefvaters über die Schulter und steuerte den benebelten Mann in den Fahrstuhl und hinunter zum Jeep. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, den Alten auf den Rücksitz zu verfrachten, der nicht mehr war als ein totes Gewicht. Mitch hätte niemals damit gerechnet, seinen Stiefvater und Daphne gleichzeitig in seiner Gewalt zu haben. Er würde sie beide in Tante Bettys Bombenkeller stecken, um mehr Zeit zum Spielen zu haben. Sein Stiefvater hatte gerade seinen »einzig wahren Sohn« verloren. Mitch würde ihm seine »Obsession« nehmen.
Er deckte den Alten mit einer Decke zu. Dann machte er sich auf den Weg zu Becketts kleinem Häuschen mitten im Wald.
25. Kapitel
Marston, West Virginia
Donnerstag, 5. Dezember, 13.00 Uhr
Sie hatte wenig gesagt, seit sie sich vor dem Busbahnhof in gedämpftem Flüsterton gestritten hatten. Joseph hatte ursprünglich vorgehabt, sie wieder ins Hotel zu bringen, aber natürlich hatte sie sich geweigert. Sie hatte sich sogar geweigert, wieder in den SUV zu steigen, falls er nicht verspräche, sie mitzunehmen, wo immer O’Hurley sie hinführen würde. Was bedeutete, dass sie sich in allergrößte Gefahr begäbe, warnte er sie. Weil Doug nämlich auch dort wäre und auf sie wartete.
Weswegen sie ja da sein musste, schoss sie zurück. Er hätte diesen Plan schließlich aus einem bestimmten Grund geschmiedet. Wenn sie nicht darauf einging, würde er das Unvermeidliche nur aufschieben. Im Übrigen wüsste sie, wo die unterirdische Kammer war, und wenn Heather sich dort befand und noch lebte, konnte sie ihnen wertvolle Zeit sparen, um das Mädchen zu retten.
Schließlich hatte Joseph widerstrebend eingewilligt. »Woran denkst du?«, fragte er nun leise.
Ihr Blick fixierte O’Hurleys Wagen, der vor ihnen fuhr. »Dass ich Beckett hätte aufhalten können. Dass ich nur seinen Namen hätte nennen müssen. Und ich frage mich die ganze Zeit: Wäre es denn wirklich so schwierig gewesen?«
»Ich würde sagen, ja«, antwortete Joseph, »denn sonst hättest du es getan.«
Ihr Schlucken war hörbar. »Danke«, flüsterte sie.
»Daphne«, sagte er sanft. »Wie oft schon hast du mit Opfern zu tun gehabt, die etwas hätten sagen können, es aber nicht getan haben? Frauen, die von Fremden oder jemandem, den sie zu kennen glaubten, vergewaltigt wurden. Von Vertrauenspersonen missbrauchte Kinder. Plötzlich sind sie wie isoliert. Sie sind allein, selbst wenn sie unter Leuten sind.«
»Manchmal sogar, wenn sie unter Leuten sind, die sie lieben.«
»So ist es. Wenn sie die anderen spüren lassen, dass sie Angst haben oder einen Schaden davongetragen haben, geben sie auch noch das letzte bisschen Kontrolle ab. Das ist Opferpsychologie, wie du sie bei deiner Arbeit schon hundertmal erlebt hast.« Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht. »Ist es wirklich so schwer zu akzeptieren, dass du nicht viel anders bist als die Menschen, die du mit solch einer Vehemenz vertrittst?«
Schockiertes Schweigen machte sich auf ihrer Seite des SUVs breit. Schließlich stieß sie bebend den Atem aus. »Wahrscheinlich habe ich das noch nie so gesehen. Aber es stimmt. Ich war – ich bin genau wie sie. Wieso konnte ich das bisher nicht erkennen?«
Joseph schwieg einen Moment. »Du fühlst ihren Schmerz und siehst die Welt durch ihre Augen, aber du siehst niemals dein eigenes Gesicht. Jetzt hältst du zum ersten Mal einen Spiegel in der Hand.«
Wieder war es lange Sekunden still. Aber dieses Mal überlegte sie und war nicht schockiert. »Wie bist du zu dieser Erkenntnis gekommen?«
»Ich habe die
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