Todeskind: Thriller (German Edition)
dass sie sich in Bezug auf ihren Mann und mich täuschte.«
»Ich will dein Mitleid nicht. Du bist hier, um dafür zu bezahlen.« Er fuhr herum, und plötzlich presste sich der Lauf der Waffe, der eben noch an ihrer Schläfe gewesen war, unter ihr Kinn. »Meine Mutter hat sich mit einem Kopfschuss getötet. Wenn ich hier rausgehe, weißt du genau, wie sich das anfühlt.«
Donnerstag, 5. Dezember, 15.25 Uhr
Joseph konnte seinen Blick nicht von Deacons Bildschirm nehmen. Mitch, Doug oder wie immer er sich nennen mochte, war ein toter Mann. Joseph wäre am liebsten in die Garage gestürmt und hätte den Mann mit bloßen Händen erwürgt.
»Worauf wartet McManus?«, stieß er heiser hervor.
»Auf eine Möglichkeit zu treffen«, erwiderte Deacon. »Er sagt, er müsse sich halb vom Dach herabhängen lassen, um Doug ins Visier zu kriegen.«
»Dann soll er das eben machen«, fauchte Joseph.
»Ich sag’s ihm«, antwortete Deacon ruhig. Er holte tief Luft, und Joseph dreht den Kopf, so dass er dem Jüngeren direkt in die Augen sehen konnte. »Wehe.«
»Wehe was? Wehe, ich sag dir, du sollst dich beruhigen? Keine Angst, mach ich nicht. Ich wollte vorschlagen, Clay anzurufen. Soll doch der Junge, der bei ihm ist, mit seinem Bruder reden.«
»Ich hatte vor, darauf zu warten, bis McManus ihn im Visier hat«, wandte Joseph mit angestrengter Stimme ein. »Ich wollte mir den Jungen aufsparen, um Doug aus dem Gleichgewicht zu bringen.«
»Ich sage McManus, er soll sich was überlegen.«
»Und ich sage Clay, dass er den Jungen ans Telefon holen soll.« Joseph nahm das Handy aus seiner Tasche, um zu wählen, als es zu brummen begann, was ihn zusammenzucken ließ. Kate Coppola blinkte auf dem Display auf. Erfahrene Schützin. Vielleicht konnte sie erreichen, was McManus nicht hinkriegte. »Wo zum Teufel sind Sie?«
»Bin auf der Straße zur Hütte. Aber ich dachte, Sie sollten vielleicht erfahren, dass ich auf dem Weg noch jemanden aufgelesen habe. Sie werden nie erraten, wer eben aus einem weißen Jeep torkelte und versuchte, zur Hütte zu gelangen.«
»Wer?«
»Hal Lynch.«
»Was? Was zum Teufel macht der denn hier?«
»Er sagt kein Wort. Aber sein Hemd ist voller Blut, das anscheinend gar nicht von ihm ist.«
Donnerstag, 5. Dezember, 15.25 Uhr
Daphne konnte vor Furcht kaum noch denken. Reiß dich zusammen. Nur noch ein bisschen. Solange Doug noch in der Garage war, kam er ihrem Sohn nicht zu nahe.
»Hast du gewusst, dass mein Bruder sie gefunden hat? Er war erst fünf!«
»Das war ziemlich egoistisch von Ihrer Mutter.« Sie fuhr zusammen, als Doug ihr den Lauf fester unter das Kinn drückte. »Sie sind wütend, und darauf haben Sie ein Recht. Aber wenn Ihre Mutter ihr Leben unbedingt beenden wollte, dann hätte sie es dort tun sollen, wo ihr kleiner Sohn sie nicht finden konnte. Das war sehr selbstsüchtig.«
Ein Muskel zuckte in seinem Kiefer. »Du hast sie dazu getrieben.«
Reiz ihn, stachel ihn auf, aber mach es so, dass du die Kontrolle behältst. »Das habe ich sicher nicht getan. Selbst wenn alles, was sie über mich gedacht hat, der Wahrheit entspräche, habe ich ihr keine Waffe in die Hand gedrückt. Sie hat den Hahn durchgezogen, obwohl sie wusste, dass ihr Sohn sie finden würde. Was ist das für eine Mutter, die so was tut?«
»Eine Mutter, die vor Kummer nicht weiterweiß.«
»O nein. Das stimmt nicht. Mein Mann hat mich in zwölf Jahren Ehe jeden Tag betrogen. Habe ich versucht, mich umzubringen? Nein. Ich hatte Krebs, Doug. Ich war krank und allein und hatte Angst und große Schmerzen, aber habe ich mir eine Pistole an den Kopf gehalten in dem Wissen, dass mein Sohn mich finden würde? Nein! Ich habe gekämpft. Ich habe gekämpft, um zu überleben und meinen Sohn aufziehen zu können. Wenn Ihre Mutter das nicht getan hat, dann tut es mir leid für Sie, aber laden Sie mir nicht die Schuld für ihren Selbstmord auf!«
Er schwieg.
Denk nach, Daphne. Stell dir vor, du bist vor Gericht, und er sitzt im Zeugenstand. Sieh die Tat durch seine Augen. Was hat er erlebt?
»Ihr kleiner Bruder hat sie also gefunden. Und wo waren Sie?«
»Im Irak«, antwortete er knapp.
»Oh, verstehe. Dann hat es eine Weile gedauert, bis Sie zu Hause ankamen.«
»Eine Woche.«
»Wer hat sauber gemacht?«, fragte sie und sah seine Überraschung.
»Ich.«
»Ich habe schon einige Fotos von Orten gesehen, an denen Selbstmord verübt wurde. Zum Glück musste ich noch keinen säubern. Das muss hart für Sie gewesen
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