Todeskind: Thriller (German Edition)
geschossen worden. Viel Blut vergossen worden. Er hätte erwartet, dass sie sich abwandte, doch sie bewegte sich vorsichtig die Stufen hinunter.
Er hielt sie an der Schulter zurück. »Bleiben Sie hier. Sie ist tot. Sie können nichts mehr für sie tun.«
»Aber das Baby!« Daphne packte seinen Arm. »Vielleicht kann das Baby gerettet werden.«
Baby? Joseph fuhr herum und starrte entgeistert auf das tote Mädchen. »Sie war schwanger?«
»Das haben Sie nicht gesehen?«, fragte sie verdattert. »Ihr Termin stand unmittelbar bevor!«
»Ich habe mich auf die Waffe konzentriert, mit der sie die Leute umgenietet hat.« Inzwischen waren mehr als fünf Minuten vergangen. Wenn das Baby wie durch ein Wunder all die Schüsse überlebt hatte, die auf seine Mutter abgefeuert worden waren, dann war es jetzt mit Sicherheit tot oder hatte einen ernsthaften Hirnschaden erlitten. Fast hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen, aber Daphnes Blick war flehend.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte er stattdessen. »Höchstens noch ein, zwei Minuten.« Er zog sich ein Paar Latexhandschuhe über, eilte geduckt zu der Schützin und drehte sie auf den Rücken. Er seufzte. »Ach, verdammt. Sie ist ja selbst noch ein Kind.«
»Sie war sechzehn. Reggie Millhouse ist der Vater des Ungeborenen.«
Joseph knöpfte dem Mädchen rasch den Mantel auf. »Wie heißt sie?«
»Marina Craig«, antwortete Daphne. Sie ging auf alle viere, kroch näher heran und verzog entsetzt das Gesicht. »Guter Gott! Wie oft haben Sie auf sie geschossen?«
»Ich? Keinmal. Die anderen insgesamt sechsmal. Als Sie die Kameratasche in ihre Richtung geschleudert haben, haben Sie sie aus dem Konzept gebracht. Sie hat auf niemanden mehr gezielt, und die anderen hatten freie Bahn.« Mit dem Taschenmesser schnitt er die Bluse des Mädchens auf und fuhr zurück. »Herrgott!«
»Ist das Baby tot?«, fragte Daphne und spähte vorsichtig über seine Schulter. »Bitte sagen Sie nein.«
»Nein.« Er zeigte ihr das Polster, das so geformt war, dass es wie ein Neunmonatsbauch aussah.
Daphne fiel die Kinnlade herab. »Sie hat die Schwangerschaft nur vorgetäuscht?«
Unter dem Kissen war der Bauch des Mädchens weich und konturenlos. »Ich würde sagen, sie ist schwanger gewesen. Vor kurzem noch. Heute war sie es jedoch definitiv nicht mehr.«
»Aber wieso?«, fragte sie verwirrt. »Wieso macht man denn so was?«
»Damit man weniger bedrohlich wirkt oder die Leute zögern, auf lebenswichtige Körperteile zu schießen. Die meisten der Cops haben es jedenfalls nicht gewagt. Sehen Sie – die Treffer sind fast alle in Arme und Beine gegangen.«
»Und in den Kopf. Wer war das?«
»Stevie«, sagte Joseph und wartete auf ihre entsetzte Miene, aber Daphne presste nur die Lippen zusammen.
Ihr Blick wurde hart. »Gut. Sie hat viele Leben damit gerettet.«
Nun schwärmten die Sanitäter aus, doch Joseph sah auf den ersten Blick, dass nicht genug Krankenwagen gekommen waren. Er würde sie selbst ins Krankenhaus bringen. »Schaffen Sie es bis zu meinem Wagen?«
»Ja«, stieß sie hervor, aber ihre Worte klangen trotzig, als müsse sie sich erst selbst überzeugen.
Er zog sie vorsichtig auf die Füße. »Kommen Sie. Ihr Kopf muss verarztet werden.« Sie lehnte sich schwer gegen ihn und legte ihre Stirn an seine Brust.
»Nur eine Sekunde, bitte. Mir dreht sich alles, und ich … Herrje. Ich möchte mich wirklich nicht vor aller Augen übergeben müssen.«
Er gab seinem Bedürfnis nach und schlang einen Arm um sie, ließ aber vorsichtshalber die andere Hand an der Waffe.
»Hey, Carter. Moment.«
Joseph sah sich um und war froh, als er J.D. herankommen sah. Joseph kannte Stevie schon lange, da sie zum Freundeskreis seines Bruders gehörte, und J.D. war im vergangenen Jahr mühelos integriert worden. Er war ein verdammt guter Cop.
»Ich will sie ins Krankenhaus bringen«, erklärte Joseph.
»Gute Idee.« J.D. begegnete seinem Blick, und Joseph erkannte, dass man ihn über Fords Verschwinden informiert hatte. »Ich komme wegen der Aussagen dann in die Notaufnahme.«
Joseph blickte auf Daphne herab. Sie hatte die Augen fest geschlossen und klammerte sich an seine Jacke wie an eine Rettungsleine. Stumm bildete er mit den Lippen das Wort »Mutter«, zeigte auf Daphne, formulierte »nach Hause« und deutete auf die Polizei.
J.D. nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Er sollte Daphnes Mutter zu ihr nach Hause bringen und jemanden zu ihrem Schutz dalassen. Dann sagte
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