Todeskind: Thriller (German Edition)
gehen.«
»Agent Carter.« Die Männerstimme erklang hinter ihm, und er wandte sich um und sah neben dem Fahrstuhl einen Pfleger mit einer fahrbaren Trage, auf der Stevie Mazzetti lag. Man hatte ihr ein Hosenbein abgeschnitten und den Oberschenkel verbunden.
»Stevie!« Joseph hastete an ihre Seite und griff nach ihrer Hand. »Alles okay mit dir?«
»Ja. Nur mächtig angefressen.« Sie musste kämpfen, die Augen offen zu halten. Sie war furchtbar blass. »Muss operiert werden.«
»Verdammt. Wo hat die Kugel dich getroffen?«
»Arterie. Bin gar nicht glücklich darüber.«
»Maynard war das auch nicht«, bemerkte Joseph, als ihm die Miene des Privatdetektivs einfiel.
Ihre Kiefer verspannten sich. »Dieser verfluchte Kerl.«
»Du meinst, ihr seid gar nicht … Du und Maynard habt nichts mit- …«
Sie starrte von unten zu ihm hoch. »Fang gar nicht erst an, Carter. Hörst du?«
»Okay. Ruh dich einfach ein bisschen aus.«
»Warte. Ich soll dir was ausrichten. Von Clay. Er wollte jemandem einen Besuch abstatten. Two-irgendwas. Benachrichtigen.«
»Verstehe. Ich weiß, was er meint.« Die Fahrstuhltüren gingen auf, und der Pfleger bedeutete ihm mit einem nicht besonders freundlichen Blick, dass er sich zur Seite bequemen sollte.
»Joseph!« Sie packte seinen Ärmel. »Wenn ich sterbe …«
Die Furcht in ihrer Stimme überraschte ihn. »Du stirbst nicht, Stevie.«
»Jeder stirbt irgendwann. Und OPs und ich … wir verstehen uns nicht so besonders gut. Also, falls ich sterbe … sagst du Cordy, dass ich sie liebe. Versprich mir das.«
Josephs Kehle zog sich zu, als er sich vorstellte, Stevies kleiner Tochter eine solche Nachricht übermitteln zu müssen. »Hör mit dem Quatsch auf. Du wirst nicht sterben.«
»Und J.D. sagst du … dass er sein Baby auf keinen Fall Stevie nennen soll, sonst komme ich als Geist zurück und spuke.«
»Sie muss jetzt wirklich in den OP«, sagte der Pfleger. »Treten Sie bitte zur Seite.«
»Moment«, knurrte Stevie. »Ich bin noch nicht fertig. Bitte sag Clay, ich … ich wär gern schon so weit gewesen. Dass ich … mit ihm … du weißt schon.« Ihre Lider flatterten und schlossen sich. »Und wenn ich nicht sterbe, hältst du einfach die Klappe.«
»Mach ich. Versprochen.« Er trat einen Schritt zurück und sah ihr nach, wie sie im Fahrstuhl verschwand. Stevie war eine großartige Polizistin. Sie hatte ihren Mann und ihren Sohn durch eine Schießerei verloren, als sie mit Cordelia schwanger gewesen war, und hatte sie allein aufgezogen. Noch war sie nicht bereit, ihr Herz erneut herzugeben.
Joseph kannte das Gefühl. Er hoffte um Stevies und Maynards willen, dass sie ihre Trauer schneller verarbeiten würde, als er es getan hatte. Sein Herz war vor zehn Jahren gebrochen und hatte erst vor neun Monaten wieder zu heilen begonnen. Als er Daphne zum ersten Mal gesehen hatte.
»Agent Carter?« Dr. Burke spähte um den Vorhang herum. »Könnten Sie mal eben herkommen?«
Er war schon bei ihr, bevor sie den Satz noch zu Ende gesprochen hatte. »Ist alles okay mit ihr?«
»Wir brauchten nicht zu nähen. Sie können Sie nach Hause bringen oder an einen Ort, den Sie für sicher halten.«
»Und sie ist nicht … krank? Nichts, was ich tun muss?«
Burke blickte auf ihr Klemmbrett. »Ich muss mich noch um andere Verletzungen kümmern. Sie kann nach Hause gehen.«
Was wahrscheinlich heißen soll, es geht mich nichts an. Joseph zog den Vorhang zurück und sah Daphne neben dem Bett stehen. Sie hatte sich in Ordnung gebracht, wirkte aber sehr zerbrechlich. Ihr Kopf war gesenkt, die Schultern schwer.
»Daphne?« Als sie seinem Blick begegnete, zog sich sein Herz zusammen. Er hatte schon zu viele Eltern entführter Kinder gesehen, und er kannte diesen Blick, der verriet, dass sie sich ausmalten, was ihrem Kind möglicherweise gerade in diesem Moment zustieß. Dass sie entsetzliche Angst hatten, es nie wiederzusehen, und ebensolche Angst vor dem, was sein würde, falls sie es doch zurückbekamen … Das alles konnte man in den Augen dieser Eltern lesen, und sie verfolgten ihn in seine Alpträume.
Wenn Geliebte oder Partner entführt wurden, war die Qual in den Augen den Betroffenen genauso groß, doch sie besaß noch eine andere Qualität, denn mit dem geliebten Menschen war einem ein wesentlicher Teil der eigenen Person entrissen worden. Auch diesen Blick kannte er nur allzu gut – er hatte ihn im Spiegel gesehen.
»Geh«, flüsterte sie eindringlich. »Wag nicht,
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