Todeskind: Thriller (German Edition)
überreagierte, dass der Alte die Tasche gestohlen hatte und das Mädchen irgendwo in West Virginia gesund und munter zu Hause saß. Aber eigentlich glaubte Ford das nicht.
In ihrer Tasche befanden sich auch ein Lippenstift, der nagelneu aussah, fünf Dollar, ein gefaltetes Stück Papier und eine nicht abgeknipste Eintrittskarte für ein Konzert, das am siebenundzwanzigsten August dieses Jahres stattgefunden hatte.
Ford blinzelte. Die Band war absolut heiß und die Tickets schwer zu ergattern. Jeder Termin war schon Wochen im Voraus ausverkauft gewesen. Wenn Heather das Konzert verpasst hatte, dann war irgendetwas Ernsthaftes dazwischengekommen. Er faltete den Zettel auf und begriff.
Es handelte sich um eine Quittung von einem Abschleppdienst, die auf den Tag des Konzerts datiert war. 2004 Honda Civic, braun, abgeholt, hatte jemand daraufgekritzelt.
Der Wagen war wahrscheinlich aus irgendeinem Grund liegengeblieben. Da Heather aber ein Ticket zum Konzert des Jahres in der Tasche gehabt hatte, hatte sie vermutlich beschlossen zu trampen. Und war nie angekommen.
Was sollte er tun? Bleib bei deinem ursprünglichen Plan. Hol Hilfe. Er legte die Sachen zurück in die Tasche. Behielt nur den Lippenstift in der Hand. Ford zögerte. Was er vorhatte, würde mögliche DNA-Spuren daran zerstören.
Aber wenn er hier draußen starb, war der Lippenstift auch nichts wert, also zog er die Kappe ab und schrieb in großen Lettern auf die Windschutzscheibe: Hilfe. Darunter seinen Namen, das Datum und die Nummer seiner Mutter. Zuletzt malte er einen großen Pfeil auf die Motorhaube in die Richtung, in die er nun gehen würde.
Bei meinem Glück findet der Alte mich zuerst. Oder der Unheimliche.
Wenigstens war er nicht gänzlich unbewaffnet. Er hatte mehrere Messer in seinem Rucksack. Außerdem das Trockenfleisch und die Dosen aus dem Vorratsschrank. Er nahm einen Streifen Fleisch aus der Tüte und kaute, während er sich in Bewegung setzte. Er musste das Essen rationieren, denn wer konnte schon sagen, wann er gefunden werden würde?
Hoffentlich ganz, ganz bald. Mir wird nämlich verdammt kalt.
Baltimore, Maryland
Dienstag, 3. Dezember, 13.05 Uhr
Als Joseph wieder beim Kino ankam, war die kleine Straße kreuz und quer mit Bindfäden in ein Gittermuster aufgeteilt, mit dessen Hilfe die Spurensicherung den Tatort Stück für Stück bearbeiten würde.
In einer Gasse voller Müll konnte es sehr, sehr lange dauern, alle potenziellen Beweisstücke zu registrieren.
Wir haben aber nicht viel Zeit. Die Durchsuchung von Privathaus und Geschäft der Millhouses hatte nichts erbracht – nirgendwo ein Anzeichen von Ford oder Kimberly, aber das überraschte Joseph nicht. Er war nicht davon ausgegangen, dass man die Jugendlichen dort versteckt hatte, wo man sie leicht finden konnte. Bisher hatten sie nur wenige Spuren. Dieser Tatort war entscheidend.
Die Spurensicherung hatte Zacharias’ Leiche inzwischen komplett freigelegt. Im Opfer steckten zwei Taser-Elektrodenpaare, eins im Unterleib, das andere in seinem Oberschenkel. Joseph blieb vor den roten Socken stehen und betrachtete den Toten. Er schien keine anderen Wunden zu haben. Wenn ihm die Kehle erst nach Eintritt des Todes durchgeschnitten worden war, woran war der Mann dann gestorben?
»Hab gehört, Sie seien in eine Schießerei geraten«, sagte Dr. Brodie, die hinter einem Müllcontainer auftauchte.
»Mir ist nichts passiert«, erwiderte er. »Anderen allerdings schon.«
»Sie werden den Verantwortlichen schon finden«, bemerkte sie schlicht.
»Wir wissen bereits, wer es war. Detective Stevie Mazzetti hat die Täterin erschossen.«
»Hatte die Täterin auch etwas mit diesem Mord hier zu tun?«
»Wir gehen zumindest davon aus, dass es eine Verbindung gibt. Wie die genau aussieht, weiß ich noch nicht.«
Brodie wanderte um die Leiche herum und leuchtete mit einer UV-Lampe auf Mauern und Asphalt. »Was fehlt?«, fragte sie, und er kam sich wieder vor wie auf der Akademie.
»Spritzer«, sagte Joseph. »Er war schon tot – zumindest so gut wie –, als man ihm die Kehle aufgeschlitzt hat. Der Elektroschocker kann ihn nicht umgebracht haben, also bleibt die Frage, woran er gestorben ist.«
»Warum ihm dann die Kehle aufschlitzen? Ist doch verschwendete Energie.«
Joseph grübelte über diese Frage, seit er das Krankenhaus verlassen hatte. »Vielleicht wollte der Mörder hundertprozentig sichergehen, dass Zacharias ihn nicht verraten würde.«
»Oder der Mörder ist
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