Todesküsse
hatte sie jetzt verzogen. Er sollte wahrscheinlich lächeln, doch Gerald kam es vor wie ein breites Flammenmaul.
Wenn er sich vorstellte, daß er seine Lippen berühren würde, nein, das war…
Seine Gedanken stockten, weil das Gesicht jetzt dicht vor dem seinen war. Augen, Nase, die Stirn und auch der Haaransatz verschwammen. Er hatte nur Augen für diesen Flammenmund.
»Jetzt!« keuchte sie und drückte zu.
Jeder Widerstand war zwecklos. Gerald hatte zwar versucht, sich gegen den Druck anzustemmen, vergeblich, seine Kräfte reichten einfach nicht aus.
Dann spürte er die Berührung. Im Augenblick des Kontakts versteifte sein Körper. Er lag flach wie ein Brett auf dem Rücken, konnte sich nicht mehr bewegen und rechnete eigentlich damit, daß die Lippen ihn verbrennen würden. Dies war ein Irrtum.
Er spürte sie. Sehr weich und gleichzeitig fordernd. Er roch seine Frau, ihr Parfüm war ihm so bekannt, er spürte auch den Körper, der sich über ihn legte und sich gegen ihn preßte.
Es hätte so wunderbar sein können. Eve befand sich in der richtigen Stimmung, aber da waren ihre Lippen.
Nur sie schien es noch zu geben. Alles andere versank. Der Druck war ungemein stark, sie schienen ihn gleichzeitig aussaugen zu wollen, und er konnte nichts dagegen tun.
Gerald ergab sich in sein Schicksal.
Der Kopf war erfüllt von einem dumpfen Brausen. Irgendwo mußte ein Wasserfall niederschäumen. Die Angst und der Druck machten ihn fast verrückt.
Er hielt trotz allem die Augen noch offen, sah plötzlich Bilder, die er nie in seinem Leben gesehen hatte.
Löwen und Frauen…
Monstren, die sich auflösten und wieder zusammensetzten, so daß aus ihnen Mischungen erschienen. Dann war alles vorbei. Der Druck hatte von einer Sekunde zur anderen nachgelassen. Die Schatten verschwanden, und Gerald konnte sich endlich erheben. Dennoch blieb er liegen. Er fühlte sich einfach zu schwach, seine Beine zitterten. Obwohl er mit den Füßen auf dem Boden stand, hatte er den Eindruck, sie würden ins Leere baumeln.
Sein Blick war gegen die Decke gerichtet. Er sah sie als weißen Fleck, nicht viereckig, sondern kreisend. Unter seinen Schläfen rauschte das Blut. Es floß doppelt so schnell durch sein Gehirn wie sonst, und als er sprechen wollte, war die Kehle zu.
Noch lag er auf dem Rücken. Er konnte so nicht immer liegenbleiben und drückte sich hoch.
Sehr vorsichtig tat er dies, weil sich die Umgebung veränderte. Sie begann zu kreisen, und er hatte das Gefühl, in diesen Kreislauf mit hineingerissen zu werden.
Auf der Bettkante blieb er sitzen. Sein Blick glitt zu Boden, danach, als er den Kopf angehoben hatte, ins Leere.
Ja, seine Frau war verschwunden. Sie hatte das Zimmer verlassen, ohne daß er etwas bemerkt hätte.
Allmählich verschwand auch der Kloß aus seinem Hals. Gerald konnte wieder freier atmen. Trotzdem kam ihm die Luft ungewöhnlich heiß und stickig vor.
Er blieb auf der Bettkante hocken und wußte genau, was er jetzt unternehmen mußte. Nur traute er sich nicht, den Arm zu heben und dort zu fühlen, wo ihn der Kuß erwischt hatte. Der Mann bewegte die Zunge. Er ließ sie im Mund kreisen. Auf das Doppelte war er angeschwollen, er brannte auch noch innen, als hätte ihn dort ein Feuer versengt. Dieser Kuß war der reine Wahnsinn gewesen. Einfach verrückt, irrsinnig und auch gefährlich.
Endlich gelang es ihm, ein Wort auszusprechen. Gerald rief nach seiner Frau.
»Eve?« Wiederum wurde es nur ein Raunen oder kaum hörbares Flüstern. Sie konnte ihn einfach nicht hören.
War Eve verschwunden? Hatte sie die Wohnung verlassen. Er hörte sie nicht in der Küche und auch nicht im Wohnraum. Mit zitternden Bewegungen erhob er sich. Seine Knie waren weich, als er den Raum durchquerte und auf die Tür zuschritt. Beinahe wäre er noch über eine Falte im Teppich gestolpert.
An der Tür blieb er stehen. Abermals kostete es ihn Überwindung, das Zimmer zu verlassen. In der Diele mußte er sich gegen die Wand lehnen. Nicht weit entfernt hing der Spiegel an der Wand. Gerald drehte sich so, daß er hineinschauen konnte.
Er sah sich selbst, sein Gesicht, den Mund - und… Das Grauen packte ihn wie ein Sturm, ließ ihn schwanken, kreiseln, und er mußte sich an der Wand abstützen. Und hinter sich hörte er die Stimme seiner Frau. »Na, wie lebt es sich ohne Lippen…?«
***
Auch ich sprang hoch. Jane hatte die Worte wild ausgestoßen. Sie war plötzlich zu einer anderen geworden, mir kam ihre geschminkte
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