Todesküste
wurde.«
»Ermordet?« Die Oma hatte sich in ihrem Sessel gerade
gesetzt. Mit finsterem Blick musterte sie den Hauptkommissar. »Das ist doch
Quatsch. Wer sollte Steffen töten? Woher wollen Sie wissen, dass er ermordet
wurde?«
»Vermutlich ist er erschossen worden.«
Während Dörte Meiners und ihre Kinder den
Hauptkommissar starr vor Entsetzen ansahen, schüttelte die alte Frau energisch
ihren Kopf. »Das kann nicht sein. Steffen und erschießen? Warum?«
»Genau das versuchen wir herauszufinden.«
Frau Oldenberg tippte sich mit dem ausgestreckten
Zeigefinger gegen die Stirn. »Der konnte niemanden etwas zuleide tun. Hier«,
sie wies auf das Fenster, das zum Garten führte, »wenn sich dort ein Insekt
verirrt hat, dann hat er es mit einem Glas eingefangen und ins Freie gebracht.«
»Gab es jemals Anfeindungen gegen Herrn Meiners oder
die Familie? Drohungen? Hatte er Streit?«
»Nichts da. Wir wohnen seit Jahrzehnten hier im Dorf.
Drüben, schräg gegenüber, wohnen mein Mann und ich.« Sie blickte ihre Tochter
an. »Mensch. Das darf ich Papi gar nicht sagen. Der mit seinem Herzen … Das
kann der nicht ab.« Sie hielt einen Augenblick inne und besah sich
gedankenverloren die gefalteten Hände in ihrem Schoß. »Nein! Weder Steffen noch
jemand anders von uns hat Streit. Mit keinem.«
Schwälm hüstelte verlegen. »Verstehen Sie mich bitte
nicht falsch. Es ist ein ungünstiger Moment. Aber ich muss es fragen: Gibt es
eventuell einen Hinweis auf eine andere Frau?«
»Sie spinnen doch«, entrüstete sich Frau Oldenberg.
»Sie wollen doch nicht behaupten, dass mein Schwiegersohn seine Frau betrogen
hat?«
»Was ist Herr Meiners von Beruf?«, lenkte der
Hauptkommissar ab, bevor die resolute Schwiegermutter sich noch mehr ereifern
konnte.
»Der arbeitet in der Raffinerie in Hemmingstedt.«
»Als was?«
»Er ist Gruppenleiter im Verkauf.« Die Schwiegermutter
stemmte sich mit einem Ächzen aus den tiefen Polstern. »So. Ich glaube, das
reicht jetzt. Mehr können wir nicht sagen.« Sie ging in leicht gebückter
Haltung zur Haustür und geleitete die Beamten hinaus, während Dörte Meiners und
ihre Kinder allem schweigend gefolgt waren.
Anschließend fuhren die beiden Beamten nach Windbergen
und suchten Gerhard Bohnsack auf. Der Rentner, der den Vorfall auf dem
Festplatz beobachtet hatte, wirkte immer noch verstört. Die Fassungslosigkeit
stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er die Polizisten einließ. Er
wiederholte seine Aussage, die er schon in Heide gemacht hatte. Oberkommissar
Bongers zeigte ihm die Bilder, die sie von der jungen Frau im Bettlerkostüm
gemacht hatten.
»Wo ist meine Brille?«, fragte Bohnsack, nachdem er
auf das Display gesehen hatte. Seine Frau brachte ihm die Sehhilfe. »Darf
ich?«, fragte der Mann, nahm die Kamera zur Hand und hielt den Apparat am
ausgestreckten Arm von sich. Er kniff die Augenlider zu einem schmalen Spalt
zusammen und betrachte angestrengt die Ablichtung. »Das ist der Kerl«, sagte er
schließlich mit Bestimmtheit. »Genau. Ich erkenne ihn wieder. Das ist der
Leprakranke. Hundertprozentig. Das kann ich schwören. So und nicht anders hat
er ausgesehen.« Bohnsack schüttelte sich vor Ekel. »Das konnte man sich gleich
denken, dass der Böses im Schilde führt. So wie der sich zurechtgemacht hat.
Grauenvoll. Nee, so was!« Die letzte Bemerkung galt seiner Ehefrau, die mit
offenem Mund und voller Staunen dem Gespräch gefolgt war.
Der Rentner wollte den Bettler auch auf den nächsten
Bildern wiedererkannt haben. »Ich irre mich bestimmt nicht«, bekundete er,
stutzte aber, als das Antlitz einer Frau sichtbar wurde. »Die kenne ich nicht.
War die auch auf dem Marktfrieden?«, wollte er von den beiden Polizisten
wissen.
ZWEI
Der BMW rollte langsam hinter den beiden Fahrzeugen her, die auf der schmalen Straße
fuhren. Links, hinter einer Schallschutzmauer verborgen, lag die Stadtautobahn.
Die beiden Autos bremsten und bogen nach rechts in eine Einfahrt ab. Der BMW folgte ihnen. Ein trister
Wachcontainer und ein unscheinbares Schild verrieten auf den zweiten Blick,
dass sich auf diesem Gelände, gut versteckt zwischen einem Wohngebiet mit engen
Siedlungshäuschen und einem Gewerbegebiet, das Polizeizentrum Eichhof befand,
wo zahlreiche Polizeibehörden des Landes untergebracht waren. Es lag westlich
des Zentrums, dort, wo die Nachbargemeinde Kronshagen wie ein Finger in das
Stadtgebiet hineinragt und Kiel eine Art Taille verpasst.
Das erste Fahrzeug bog im Parkhaus
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