Todesküste
die mittlerweile auch in den Staaten ausgebrochene Verzweiflung über den
Krieg, der von den damaligen Verantwortlichen falsch eingeschätzt und geplant
worden war. Die Frage nach dem Sinn stellt sich immer drängender. So wundert es
wohl niemanden, dass es Soldaten gibt, die den Kriegswahnsinn nicht mehr
mitmachen wollen oder einfach nackte Angst um ihr Leben haben, wenn
Selbstmordattentäter wieder einmal Kameraden in den Tod gerissen oder durch
Verstümmelungen bis ans Lebensende gezeichnet haben. Haben Sie sich einmal
gefragt, weshalb Jackson Heroin genommen hat? Es gibt ein berechtigtes
Interesse, zu verschweigen, dass Soldaten den Dienst mit der Waffe verweigern.«
Lüder war sprachlos. »Sie meinen, die Männer begehen
Fahnenflucht?«
Holl sah ihn an. »Ja. Auch Jackson und Tahiro gehörten
dazu. Für Tahiro war wohl der Freitod von Theodore Westhusing ausschlaggebend.
Bevor sich der ranghohe Offizier, der Professor an der Eliteakademie West Point
war und auch Ethik lehrte, erschoss, schrieb er, dass alles wertlos sei und im
Irak überall und jederzeit der Tod umgeht. Die alte Bundesregierung hat den
flüchtigen Soldaten Unterschlupf gewährt. Da die Bundesrepublik das aber nicht
selbst organisieren konnte, hat man bekennende Kriegsgegner wie mich eingebunden,
die sich aus humanitären Gründen nicht versagen konnten. Das blieb natürlich
den Amerikanern nicht verborgen. Um den Bündnispartner nicht vor der
Weltöffentlichkeit bloßzustellen, hat man das Thema totgeschwiegen. Wie sauer
Präsident Bush aber war, ist uns allen durch das Einfrieren der
deutsch-amerikanischen Beziehungen noch in lebhafter Erinnerung. Für die
Amerikaner war es eine Erlösung, als aus den Wahlen hier eine andere Regierung
hervorging, die deutlich um eine Wiederbelebung der Beziehungen bemüht war. Was
jetzt kommt, kann ich nur vermuten. Die Amerikaner haben wahrscheinlich
Straffreiheit für ihre abtrünnigen Soldaten versprochen, aber dieses
Versprechen nicht eingehalten. Dafür hat die neue Bundesregierung ihre diskrete
Unterstützung zugesagt. Natürlich weiß ich nicht, wie die aussieht.«
Holl öffnete die Hände wie zum Segen.
»Sie vermuten, dass der Geheimdienst der US -Streitkräfte die eigenen Landsleute
jagt und dabei von deutschen Organen unterstützt wird? Das wäre ja eine
unglaubliche Geschichte«, platzte es aus Große Jäger heraus.
»Das werden wir wohl nie erfahren«, erwiderte Holl mit
müder Stimme.
»Und wer hat Ihrer Meinung nach den Mörder
losgehetzt?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Jackson wusste, dass es
einen Killer gab. Harry Weintraub soll der heißen. Es ist ein ehemaliger, bei
einem Bombenattentat grässlich verstümmelter Soldat, der nicht mehr in der
Öffentlichkeit auftreten kann. Während sein eigenes Leben durch einen
hinterhältigen Attentäter verpfuscht ist, kneifen in seinen Augen andere. Die
Amerikaner sind stolz auf ihr Vaterland. Memorial Day und die hoch geachteten
Kriegsveteranen sind äußere Zeichen dafür. Andererseits ist der Vietnamkrieg
ihr großes Trauma. Deshalb bemühen sich die Veteranenverbände, nicht wieder so
eine Stimmung wie nach Vietnam aufkommen zu lassen, als viele Zivilisten den
heimkehrenden Truppen nur Verachtung entgegenbrachten. Weintraub hat es sich
zur Lebensaufgabe gemacht, die Verräter zu liquidieren. Einen anderen Platz
findet ein so zugerichteter Mann auf dieser Welt nicht mehr.«
Lüder war sprachlos. Eine solche Wendung hatte er
nicht erwartet. Trotzdem gab es noch einen offenen Punkt.
»Wer hat die beiden Männer ausfindig gemacht?«
Holl machte einen erschöpften Eindruck. »Ich weiß es
nicht«, sagte er müde.
Die Rückfahrt nach Kiel verlief nahezu schweigsam. Es
gab nichts, was es noch zu besprechen oder zu erklären gab. In Lüder war nur
noch Leere. Auch Große Jäger schien keinen Gesprächsbedarf zu verspüren.
Sie saßen wenig später stumm in Lüders Büro und
tranken Kaffee, als Friedjof hereinstürmte. Er schwenkte Lüders Handy.
»Alles klar, Sherlock?«, fragte der Bürobote.
Lüder nickte. »Auch ‘nen Kaffee, Friedhof?«
»Lass man, ich trinke lieber eine Cola.« Friedjof
legte Lüders Handy auf den Schreibtisch. »Hat das was gebracht?«
»Du hast uns sehr geholfen. Vielen Dank.«
»Warum haben wir die Telefone getauscht?«
»Weil ich überwacht wurde. Man hat meine Telefone
abgehört. Dadurch hatte die Gegenseite stets Informationen über das, was wir
geplant und durchgeführt haben.«
Friedjof lachte laut auf.
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