Todesküste
gesehen.«
»Christoph ist in Ittoqqortoormiit. Vielleicht auch
schon in Tasiilaq oder Qaqortoq.« Große Jäger grinste breit.
»Hä?« Jürgensen sah ihn verständnislos an. »Hast du
seit Kurzem einen Sprachfehler?«
»Typisch Flensburger. Stets naseweis über uns
weltgewandte Nordfriesen lästern. Um dich nicht dumm zu lassen: Christoph macht
Urlaub und ist von Kopenhagen aus mit einem Versorgungsschiff dabei, die
kleinen Siedlungen an Grönlands Küsten abzuklappern.«
»Und seine Freundin findet das gut?«
»Nee. Die ist gar nicht mitgefahren. Er ist mit seinem
Sohn unterwegs.«
»Und wo steckt Mommsen?«
»Der ist auf der Polizeihochschule in Münster.«
Jürgensen stieß einen leisen Pfiff aus. »Na – so was.
Soll der Karriere machen?«
»Man hat das Kind ausgeguckt.« Große Jäger stemmte die
Hände in die Hüften. »Mensch, hör mal. Du bist ja neugieriger als mein Friseur.
Was ist nun mit ihm da drinnen?« Er wies mit dem Daumen ins Kircheninnere.
»Der ist tot.«
»Das überrascht mich jetzt aber.«
»Das hättest du eigentlich selbst feststellen können.
Oder euer Doc.« Plötzlich wurde Jürgensen ernst. »Ein sauberer Einschuss in den
Oberbauch.«
»Habt ihr das Geschoss oder die Patrone gefunden?«
Jürgensen schüttelte den Kopf. »Es gibt kein Ausschussloch.
Das Geschoss muss im Körper stecken. Und eine Patrone haben wir nicht
gefunden.«
»Das könnte bedeuten, dass der Tatort nicht gleich
Fundort ist.«
»Vermutlich doch. Wir haben in der vorletzten Bank
links Blut gefunden. Es könnte sein, dass der Täter dort auf sein Opfer
gestoßen ist. Dann zieht sich eine Blutspur durch den Seitengang bis zur
Heizung.«
»Da hat der Tote sich aber nicht selbst hingelegt?«
»Wahrscheinlich nicht. Ich gehe davon aus, dass es
mindestens zwei Täter waren, denn das Opfer sieht kräftig aus. Und es gibt rund
um die Heizungsverkleidung keine Schleifspuren. Ein Einzelner hätte den Mann
über die Brüstung gezerrt. So aber wurde er sauber drüber hinweggehoben.«
»Gib es andere Spuren oder Hinweise auf die Identität
des Toten?«
»Nichts. Alle Taschen waren leer. Keine Papiere, kein
Geld, keine Schlüssel. Einfach nichts.«
»Kann es ein Fremder gewesen sein?«
Jürgensen runzelte die Stirn. »Das weiß ich nicht. Die
Schuhe sind von Nike, die Hose von Dockers. Das T-Shirt trägt ein
Tommy-Hilfiger-Etikett, und die Boxershorts sind auch Konsumware. Das sind
alles Produkte, die du in jedem deutschen Kaufhaus oder Bekleidungsgeschäft
bekommst.«
»Es sieht also aus, als hätte der Mann hier gelebt.
Oder sich zumindest nicht nur zum Besuch hier aufgehalten.«
»Stimmt. So schwer sollte es also nicht sein, die
Identität des Toten zu ermitteln, denn bei euch werden sicher nicht täglich
dunkelhäutige Menschen erschossen.«
»Das ist ein Flensburger Problem«, erwiderte Große
Jäger. »Wir sind nicht die Mordkommission. Jetzt, wo ich allein bin, kann sich
die Dobermann damit herumschlagen.«
»Das überrascht mich aber. Sonst seid ihr
Schlickrutscher doch ganz erpicht darauf, euch jeden Mordfall unter den Nagel
zu reißen.«
» Ich doch nicht«, spielte der Oberkommissar den
Entrüsteten. »Das geht immer von Christoph aus.«
*
Die Rückfahrt nach Kiel war ereignislos verlaufen, und
Lüder hatte sogar Gelegenheit gefunden, den Törn quer durch das Land zu
genießen. Es drängten ihn keine Termine, und der aktuelle Fall des selbst
ernannten Rechtsradikalen Silvio Merseburger war Routine. Lüder fragte sich,
warum der Kriminaldirektor ihn mit der Bearbeitung beauftragt hatte. Von
Merseburger schien keine ernsthafte Gefahr auszugehen. Jetzt saß Lüder an
seinem Schreibtisch und studierte erneut die Akte, die über Merseburger
angelegt worden war. Dann rief er beim Ordnungsamt der Amtsverwaltung
Meldorf-Land an. Es war ein unschätzbarer Vorteil Schleswig-Holsteins, dass es
noch kleine und überschaubare Verwaltungen gab, in denen man komplikationslos
den zuständigen Sachbearbeiter erreichen konnte. Doch das sollte sich nach dem
Willen der Politiker ändern.
»Ja, den kennen wir«, sagte der Mann in Meldorf, der
sich mit »Reimers« gemeldet hatte.
»Merseburger unterhält auf dem Grundstück zwei Hunde,
die nach dem Gefahrhundegesetz erlaubnispflichtig sind. Ferner würde mich
interessieren, ob der Mann eine Zuverlässigkeitsprüfung als Hundehalter
abgelegt hat.«
Herr Reimers musste gar nicht in den Unterlagen
nachsehen. »Er hat einen Antrag gestellt, den wir aber abgelehnt
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