Todesküste
Pubertät fürchterlich unter
Akne gelitten.
*
Theodor-Storm-Haus. Storm-Museum. Geburtshaus.
Storm-Denkmal. Dann das Schloss und der Schlosspark. Poppenspäler-Museum.
Ostenfelder Bauernhaus und Nissenhaus waren ihm erspart geblieben. Wasserreihe
und Süderstraße. Zingel. Markplatz. Schlossgang. Und die zahlreichen Geschäfte,
in die die beiden Frauen strebten, nicht zu vergessen das Traditionskaufhaus
Schmidt.
Herbert Brammeier war am Ende seiner Geduld. So hatte
er sich den Ausflug nach Husum nicht vorgestellt. Seine Frau Jutta und die
Schwägerin Lisbeth schleiften ihn seit Stunden durch das Kleinod an der
Westküste. Seit Tagen hatte er sich auf diesen Ausflug gefreut und war mit den
beiden Frauen in aller Frühe in Hamburg aufgebrochen. Doch jetzt reichte es.
Unten am Hafen hatte er viele gemütliche Gaststätten gesehen, vor denen man
draußen sitzen und in Ruhe ein kühles Bier hätte genießen können. Die
Straßencafés an der Schiffbrücke lockten, und nicht nur die trockene Kehle,
sondern auch ein knurrender Magen verleideten ihm allmählich diesen Tag, der so
schön hätte sein können, wenn seine Frau nicht auf die Idee gekommen wäre, die
kulturbeflissene Schwägerin einzuladen. Lisbeth schleifte das Ehepaar Brammeier
durch die Stadt. Und zu jeder Institution wusste sie etwas zu erzählen, selbst
wenn sie aus dem Reiseführer vorlas, den sie bei sich trug.
Sich ein wenig umzuschauen bereitete auch Herbert
Brammeier Vergnügen. Aber so viele Details, wie seine Schwägerin vortrug,
konnte und wollte er sich mit seinen siebenundsechzig Jahren nicht mehr merken.
Er war nicht das erste Mal hier. Der jährliche Husum-Besuch gehörte für ihn und
seine Frau zu seinem »Genussleben«, wie er das verdiente Rentnerdasein nannte.
Doch heute … Das hat Jutta davon. Er bedachte seine Frau mit einem ungnädigen
Gedanken und hielt Ausschau nach einer Gaststätte. Bei der nächstbesten
Gelegenheit werde ich mein Flensburger oder Dithmarscher Pils trinken. Auch
zwei. Und einen kleinen Kurzen zum Magenanwärmen. Und dann musste seine Frau
nach Hamburg zurückfahren. Er würde es sich auf dem Rücksitz bequem machen. Und
wenn ihm dabei ein wenig die Augen zufallen würden, könnte er sich aus dem
unablässigen Geschnatter der beiden Frauen elegant ausblenden.
Die Schwägerin zeigte auf eine grün schimmernde
Statue, die inmitten eines Brunnens auf dem Marktplatz stand.
»Das ist Husums Wahrzeichen, die Tine«, erklärte
Lisbeth und stieß den mürrisch dreinblickenden Herbert an. »Weißt du, was sie
bedeutet?«
Brammeier besah sich die Fischerfrau.
»Wahrscheinlich hat sie ihrem Mann die Ohren
vollgequatscht«, brummte er. »Da hat er sie rausgeworfen. Nun steht sie zur
Strafe hier mitten auf dem Markt.«
Lisbeth warf ihm einen beleidigten Blick zu und wandte
sich der Kirche zu, die den Marktplatz begrenzte.
»Die Marienkirche«, sagte sie. »Erbaut von einem der
bedeutendsten Baumeister Nordeuropas, dem dänischen Staatsbaumeister Hansen. Es
ist eine von fünf Kirchen, die er in Schleswig-Holstein gebaut hat, das damals
dänisch war. Sie gilt als das Hauptwerk des Klassizismus im Land.«
Das Gotteshaus wirkte von außen eher nüchtern, wären
nicht die prächtigen Winterlinden gewesen, die es umrahmten. »Das ist aber kein
hoher Turm«, maulte er.
»Es soll auch kein hoch aufragender Zeigefinger Gottes
sein, sondern eher ein Leuchtturm, der der Gemeinde als Orientierungspunkt in
der rauen See des täglichen Lebens dient«, dozierte Lisbeth, während Jutta den
widerstrebenden Herbert Brammeier am Ärmel packte und zum Eingang zog.
Im Inneren setzte sich der strenge Klassizismus fort.
Dorische Säulen links und rechts leiteten den Besucher zu einem zweiten Portal,
das dem ersten im Aufbau glich und an der Stirnseite den Zugang zur Welt Gottes
symbolisieren sollte. Herbert Brammeier warf einen flüchtigen Blick auf die in
ihrer Schlichtheit prächtig wirkende Kanzel und die vergoldeten Kapitelle,
stapfte zum Bronzetaufbecken und entdeckte eine einfache gepolsterte Bank, die
an einer seitlichen Holzverkleidung stand. Mit einem Ächzen ließ er sich
nieder. Während die beiden Frauen vor dem Altar standen und Lisbeth den
Unterschied zwischen dorischen, ionischen und korinthischen Säulen zu erklären
bemüht war, sah sich Brammeier um. Die Orgel sah neu aus, im Unterschied zu den
laternenartigen Lampen, die den an einen Festsaal erinnernden Kirchenraum bei
Dunkelheit beleuchteten. Jetzt fiel gedämpftes Licht
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