Todesläufer: Thriller (German Edition)
offensichtlich hatte aber keiner von ihnen etwas gefunden.
»Ich nehme nicht an, dass du weißt, wie das aussehen soll?«
»Keine Ahnung. Davon stand nichts da.«
»Auch nicht, wo dein Präsent versteckt ist?«
»Nein …«
»Das sind hier mindestens dreißig Stockwerke …«, seufzte Sam. »Komm!«
Er zog sie zur Feuertreppe. Eine Detonation im Erdgeschoss ließ die beiden einen Augenblick lang verharren. Vermutlich hatte der Heckenschütze den Kraftstofftank getroffen.
Der Aufstieg war anstrengend, und sie konnten sich nur kurze Pausen erlauben, nie länger als drei oder vier Sekunden. Trotz der zahlreichen Prellungen und Quetschungen, die ihn heftig schmerzten, ließ Sam den Arm seiner Tochter nicht los. Sie durfte auf keinen Fall ins Straucheln geraten.
»Ich kann nicht mehr«, klagte Grace, die sonst so hart im Nehmen war.
»Wir müssen weiter, Kleines.«
»Warum?«
»Der Verrückte schießt aus einem niedrigeren Gebäude. Da oben kommt er nicht an uns ran.«
»Daddy …«
Er drückte sein Gesicht an ihres.
»Du schaffst es, mein Schatz.«
»Das ist es nicht. Es geht um Mike …«
»Was ist mit ihm?«
»Er hat sicher auch einen Umschlag bekommen.«
Zuerst wusste er nicht, was er darauf sagen sollte. In der Tat war das mehr als wahrscheinlich, doch es blieb immerhin eine winzige Chance, dass Mike noch rechtzeitig operiert werden konnte.
Das AT&T -Gebäude hatte achtundzwanzig Stockwerke, neunundzwanzig, wenn man die letzte Treppe, die zum Flachdach hinaufführte, mitzählte. Dort empfing sie hinter der schweren Feuerschutztür ein Wald von Stab- und Parabolantennen. Auf diesen wenigen Hundert Quadratmetern gab es davon mehr als sonst in einem ganzen Stadtviertel. So blieb nur ein schmaler Rundweg um die Antennenmasten und weißen Schüsseln herum, die sich wie riesige Ohren in den Himmel richteten.
Sam nahm mit der freien Hand sein Telefon heraus.
»Rob …«
»Ein Streifenwagen ist unterwegs. Sie haben einen Arzt dabei. Er kann dafür sorgen, dass sie noch eine Weile durchhält.«
»In Ordnung, wir warten … Könntest du mal bei einer Adresse im West Village nachsehen gehen, die wir dir durchgeben?«
Grace hatte sofort begriffen und diktierte atemlos: »51 Barrow Street, dritter Stock. Da ist nur eine Wohnung.«
»Hast du gehört?«
»Schon notiert. Und wen soll ich da einsammeln?«
»Mike O’Brian, Grace’ Freund . Sie hat ihn im Roosevelt kennengelernt. Er hat da zur selben Zeit wie sie einen Schrittmacher bekommen.«
»Habt ihr was von ihm gehört?«
»Nicht seit gestern Vormittag.«
»Ich verstehe. Keine Sorge, ich fahr mit Ray und Franck sofort hin.«
»Danke.«
In diesem Moment tauchte neben dem Dach des Büroturms, kaum drei oder vier Meter vor ihnen, die Drohne auf, deren elektronische Augen sie ins Visier nahmen. Die unbeirrbare Zeugin ihres Herumirrens nahm die Überwachung wieder auf.
Vor ihrem Blick sank Grace wie leblos zu Boden.
11 UHR 15 – NEW YORK – WEST VILLAGE – 51 BARROW STREET
Der kräftige Geruch von Rob Kovic’ ausgesprochen maskulinem, aber eher billigem Rasierwasser wehte über den Gehweg. Das schmucke, rote Backsteinhaus mit der Nummer 51 in der Barrow Street war das niedrigste und gepflegteste Gebäude der ganzen Straße. Eine Art Puppenhaus, auf dessen Dach eine Gaube thronte.
Seit der Explosion vor dem Polizeihauptquartier war Rob »Boromir« Kovic nahezu pausenlos auf den Beinen gewesen. Da er auch aus Stadtteilen, die von seinem eigentlichen Einsatzort weit entfernt lagen, als Verstärkung angefordert worden war, hatte er weder Zeit zum Schlafen noch zum Essen gefunden. Er war einer der erfahrensten Beamten des NYPD und bewahrte auch in den schwierigsten Situationen die Ruhe. Das war unter den gegebenen Umständen ein unschätzbarer Vorteil.
»O’Brian? Mike O’Brian … Machen Sie die Tür auf. Hier spricht Police Commander Kovic. Sam Pollack schickt mich …«
Er drückte zum dritten Mal auf die Klingel der Gegensprechanlage, doch auch diesmal kam keine Antwort. Nachdem er wortlos auf das Schloss gezeigt hatte, öffnete der pomadisierte Latino an seiner Seite die Tür mühelos mit der Klinge eines Taschenmessers.
Zusammen mit seinem zweiten Begleiter, einem Schwarzen unbestimmten Alters, eilte Rob mit Riesenschritten die Stufen empor, deutlich schwungvoller, als es sein gebeugter Rücken vermuten ließ.
Auch das Hämmern gegen die weiße Tür verhallte ohne Reaktion. Ein erneuter geschickter Einsatz des Taschenmessers, und sie
Weitere Kostenlose Bücher