Todesläufer: Thriller (German Edition)
überraschte ihn, was dann geschah. Ein vermutlich vom stundenlangen Warten entnervter Autofahrer brachte das Motorrad zu Fall, indem er achtlos die Tür öffnete. Die Fahrerin stürzte zu Boden.
Sam nahm seine letzten Kräfte zusammen. Jetzt brauchte er sie nur noch vom Boden aufzulesen. Hoffentlich war sie nicht tot, denn er musste unbedingt mit ihr reden. Der ungeschickte Autofahrer, ein hochgewachsener Kahlkopf mit Brille, starrte ungläubig auf die Szene. Er wirkte zerknirscht. Das Motorrad lag am Boden, das Hinterrad drehte sich leer. Die Frau war nirgendwo zu sehen.
Das darf doch nicht wahr sein … Wieso ist die auf einmal weg?
»Wo ist sie hin?«, schrie Sam den Autofahrer an, der ihn stumpf ansah, ohne zu reagieren. »Polizei! Wo ist sie?«
Mit zitterndem Finger wies der Kahlkopf auf den schmalen Fußgängersteg neben der Fahrbahn. Dort stand sie mit dem Gesicht zur Bucht auf dem Metallgeländer.
»Nein! Nicht springen! Bitte springen Sie nicht!«
Ohne sein Rufen zu beachten, zog sie die Kapuze auf und breitete dann wie ein Turmspringer die Arme aus. Zwischen ihr und Sam, der sich ihr vorsichtig von hinten näherte, lagen nur noch wenige Schritte.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie auf der Brooklyn-Seite der Brücke hinter den Reihen stehender Autos Nationalgardisten in Tarnuniformen von Militärlastwagen heruntersprangen und auf sie zurannten. Es gab keinen Ausweg, es sei denn, sie würde in das graue Wasser unter ihr springen.
»Ich weiß nicht, welche Rolle Sie in dieser Geschichte spielen«, versuchte Sam ihr gut zuzureden, »aber wir könnten doch miteinander reden.«
Spontan fuhr er mit der Hand an die linke Hüfte. Nichts. Stimmt, die Glock hatte ihm der Plünderer am Vorabend abgenommen.
Nein … nein!
Die Frau drückte sich kräftig zum Sprung ab und verschwand in der Tiefe. Sam hatte nicht einmal ihr Gesicht sehen können. Die Schaulustigen, die aus ihren Autos gestiegen waren, schrien auf.
Im nächsten Augenblick sah man, wie sich die Wellen, die ihr Eintauchen verursacht hatte, in der starken Strömung und den Strudeln rings um den Pfeiler glätteten. Den Gaffern, die hinabstarrten, um zu sehen, ob sie wieder auftauchte, wurde es rasch langweilig. Die Nationalgardisten, die inzwischen an der Stelle eingetroffen waren, bedeuteten ihnen, dass sie sich vom Geländer entfernen und wieder in ihre Autos setzen sollten, bis die Straße freigeräumt würde.
»Sieh mal, ich hab alles gefilmt!«
Ein pickeliger Halbwüchsiger hielt seiner nicht minder unansehnlichen Schwester sein Telefon hin.
»Jede Wette, dass ich das gleich über Twitter ins Netz stelle.«
Angesichts des Wahnsinns, der seit dem Vortag die Stadt und das ganze Land heimsuchte, war diese unerfreuliche Szene symptomatisch.
»Die Wette verlierst du!« Mit diesen Worten riss Sam dem Jungen das Telefon aus der Hand und warf es ins Wasser, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
Er empfand dabei nicht das geringste Bedauern.
17 UHR 10 – NEW YORK – STATEN ISLAND
Den großen Wagen aus dem Stau der Verrazano-Brücke hinauszumanövrieren, noch dazu im Rückwärtsgang, war alles andere als einfach. Aber schon bald fuhr Sam wieder über die Lily Pond Avenue in Richtung auf Fresh Kills und das Lagerhaus, an dem er Liz zurückgelassen hatte.
Er hatte sie mehrfach zu erreichen versucht, doch sie meldete sich einfach nicht.
Wie lange hatte er sie dort sich selbst überlassen? Zehn Minuten? Fünfzehn? Länger? Auf jeden Fall zu lange.
Man sollte bei einem solchen Einsatz keinesfalls allein sein, schon gar nicht, wenn man keinen Durchsuchungsbeschluss hatte. Das war ihm ebenso bewusst wie ihr, denn diese Regeln galten für alle Polizeieinheiten.
Er stellte den Wagen rund hundert Meter von der Halle der Firma H Mech-Tech ab. Niemand war zu sehen, aus dem Inneren drang nicht das leiseste Geräusch. Einen Moment lang war Sam versucht, nach ihr zu rufen, unterließ es aber.
Im nächsten Augenblick warf ihn ein heißer Sturmwind um. Ein Feuerball hatte das Blechdach wie einen Champagnerkorken in die Luft gerissen. Scharfe Metallstücke fielen ringsum schwer zu Boden. Auf den Lärm der Explosion folgten die Geräusche, die das Gebäude unter der Einwirkung der Hitze von sich gab. Es konnte jeden Augenblick einstürzen.
Er blieb ungläubig mit dem Gesicht im Schlamm liegen, ohne sich zu rühren. Er konzentrierte sich auf Details, genau wie bei dem Mann, den er am Police Plaza hatte explodieren sehen. An die Stelle der Bänke,
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