Todeslauf: Thriller (German Edition)
Morgensonne glitzern zu sehen. Er würde ein großer Künstler werden und ein Atelier an der Prinsengracht oder der Herengracht haben. Es kam nie dazu, und jetzt war der Traum endgültig geplatzt.
Die meisten Fenster waren dunkel, doch in der Wohnung über dem Rode Prins brannte Licht.
Er wankte zur Eingangstür der Bar. Wie hatte der Barkeeper geheißen? Henrik. Er konnte nach Henrik fragen. Vielleicht war Henrik der Chef und wohnte über der Bar.
Der Job war einfach zu heiß geworden. Wenn er Informationen über Edward verkaufte, konnte er sich beruhigt absetzen. Er würde irgendwohin gehen, wo es ruhig war, nach Panama oder Honduras. An einen warmen und sonnigen Ort, wo man es mit den Gesetzen nicht so genau nahm. Jede Menge Mädchen, die in Bordelle in den Staaten oder in Kanada geliefert werden konnten. Er würde ganz neu anfangen. Man konnte immer neu anfangen, wenn man es verstand, mit Leuten umzugehen.
Die beiden Fenster an der Vorderfront und die Haustür waren mit schweren Samtvorhängen bedeckt. Er klopfte an die Tür. Einmal, fast zaghaft. Er wollte nicht die Polizei auf sich aufmerksam machen. Was er nicht bemerkte, war, dass ihn eine kleine Kamera neben der Tür beobachtete. Er klopfte noch einmal, etwas lauter, und war sehr überrascht, als der Vorhang an der Tür langsam zurückgezogen wurde. Eine Frau sah ihn durch das Glas an, und er wunderte sich, dass ihn plötzlich fröstelte. Seltsam, die Nacht war gar nicht kalt. Vielleicht lag es am Blutverlust.
»Samson hat mich geschickt. Er braucht Hilfe. Bitte.«
Die Frau schien ihn zu studieren. Sie war ein scharfes Ding, vielleicht dreißig – aber es musste nicht unbedingt ein Nachteil sein, wenn sie ein bisschen älter waren. Blondes Haar, zierlich. Trotz der Schmerzen begutachtete er sie aus Gewohnheit, wie um einzuschätzen, was sie ihm einbringen könnte. Jetzt erinnerte er sich wieder an sie: Er hatte sie schon einmal in der Bar gesehen, als er mit Sam beim Bier gesessen hatte.
»Ich kenne keinen Samson, und die Bar hat geschlossen«, sagte sie mit einem leichten Akzent, der eine Mischung aus britisch und osteuropäisch war. Ihre Worte kamen kurz und präzise. Ihr Akzent gefiel ihm. Er hatte mit der Zeit Gefallen an gebrochenem Englisch mit slawischer Aussprache gefunden, besonders wenn ihn die Betreffende anflehte. Er wusste, wie man slawische Mädchen behandelte.
»Es ist mir egal, ob geschlossen ist oder nicht. Ich will Henrik sprechen oder wer sonst diesen Laden führt. Ich habe Informationen zu verkaufen.« Er erinnerte sich an den Namen, den Samson in der Taverne Chevalier in Brüssel genannt hatte: »Roger Cadet. Ich will Roger Cadet sprechen, oder denjenigen, der für ihn arbeitet.«
»Welche Informationen?«
»Über die Leute, hinter denen Peter Samson her ist.«
»Sein Name ist nicht Peter Samson«, erwiderte die Frau. Ihr Ton gefiel ihm jetzt gar nicht mehr – er klang abgehackt und ungeduldig. Das Luder brauchte eine Lektion in Sachen Respekt, dachte er. »Einfach nur Sam«, fügte sie hinzu.
»Sam, von mir aus. Er arbeitet für euch, oder? Für euch und diese Leute in Brüssel, die auch eine Bar haben. Kannst du mir jetzt einen Deal vermitteln oder nicht, du Miststück?«
Sie lächelte ihm zu. »Ja, ich glaube, ich kann Ihnen einen Deal verschaffen.«
»Euer Junge hat gerade mit ein paar Leuten zu tun, die keinen Spaß verstehen«, zischte er ihr etwas leiser zu. »Er braucht Hilfe.«
»Und Sie wollen Schutz vor diesen Leuten. Typen wie Sie sind ziemlich leicht zu durchschauen.«
Er wusste nicht, was sie meinte. Es war ihm auch egal. »Ich habe wertvolle Informationen.«
Sie sah ihm hart in die Augen. »Ich bin Sams … Chefin. Kommen Sie rein.«
Sie öffnete die Tür, und er humpelte hinein. Sie schloss die Tür hinter ihm und zog die Vorhänge zu. »Herrgott. Danke. Kann ich einen Drink haben?«
Sie ging zur Bar und schenkte ihm einen doppelten Genever ein. Er setzte sich auf einen Hocker und kippte den Drink hinunter. Der Alkohol brannte auf seinem verletzten Zahnfleisch. »Sam hat mir die Zähne ausgeschlagen.« Er klang wie ein weinerliches Kind.
Sie blieb auf der anderen Seite der Bar und schenkte ihm noch einen Drink ein. »Aber Sie sind hier.«
»Sam hatte Helfer. Man spaziert nicht einfach so in eine Bar in Brüssel und geht danach bis an die Zähne bewaffnet wieder raus.« Er kippte auch den zweiten Genever hinunter. Die Wärme des Alkohols breitete sich in ihm aus.
»Ich heiße Mila«, sagte sie.
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