Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
provisorischen Wohnzimmertisch für den Vormittagskaffee gedeckt, indem sie ein großes Tablett auf ein paar Stapel schwerer Bücher gestellt hatte. Das Arrangement wirkte zwar nicht gerade elegant, aber für diesen Zweck reichte es aus. Den Kuchen hatte Ella in der besten Konditorei der Stadt gekauft. Sie wusste, wie wenig Estrid die maschinell hergestellten Kuchen schätzte, wie sie sie nannte. Den Kaffee mahlte und kochte sie hingegen selbst. Fasziniert beobachtete Estrid, wie Ella die Espressomaschine bediente. Da Estrid weder Café au Lait noch Cappuccino schätzte, streckte Ella ihren Espresso mit heißem Wasser, damit sie einen schwarzen Kaffee erhielt. Oder zumindest etwas, was so aussah.
Estrid nippte vorsichtig an ihrem heißen Getränk und nickte anerkennend. Ella bekam den Eindruck, dass es nicht nur der Kaffee war, der ihr gefiel. Neugierig schien sie alle Ecken und Winkel des Raumes in Augenschein zu nehmen. Es war nicht das erste Mal, dass Ella diesen Stolz in Estrids hellwachen Augen wahrnahm: Sie hatte gehört, wie Estrid damals von einem Zeitungsartikel über die Rechtsmedizinerin Andersson schwärmte, als hätte man über ihr eigenes Enkelkind geschrieben. Aber vermutlich betrachtete Estrid sie als genau das – ihren eigenen Sprössling. Doch als Ella auf den großen Spiegel zu sprechen kam, veränderte sich Estrids stolze Miene plötzlich. Die bereits runzelige Stirn legte sich in noch tiefere Falten, und ihr Blick verdunkelte sich.
»Was ist denn? Gefällt dir der Spiegel etwa nicht?«, fragte Ella.
Estrid stand auf und trat auf den vergoldeten Rahmen zu. Sie legte den Kopf schief und schien ihr eigenes Spiegelbild zu betrachten. Auch wenn Estrid mit dem Rücken zu Ella stand, signalisierte das Spiegelbild in dem riesigen Möbelstück aus dem 18. Jahrhundert, dass irgendetwas nicht stimmte. Estrids Augen waren schmal geworden, und ihr Gesicht hatte einen düsteren Ausdruck. Sie drehte sich zu Ella um.
»Irgendwann einmal habe ich in genau diesem Saal ein Abendessen serviert«, begann sie leise. »Es war zu Beginn der 50er Jahre, glaube ich, aber ich erinnere mich nicht mehr genau. Jedenfalls war es weit vor der Zeit, als ich bei der Familie Rossing anfing.«
Sie machte eine Pause und sah sich um.
»Damals sah es hier allerdings völlig anders aus«, fuhr sie fort. »Ich glaube sogar, dass dort, wo jetzt der Spiegel hängt, eine prächtige Doppeltür war.«
Estrid ging darauf zu und versuchte einen Blick auf die Wand hinter dem Spiegel zu werfen, doch der Zwischenraum war zu dunkel und unmöglich einzusehen.
»Weißt du, wer damals in der Wohnung wohnte?«
Ellas Neugier war geweckt.
»Nein, das kann ich nicht mehr sagen.«
Estrid setzte ihre wankende Rundwanderung durch den großen Saal fort.
»Aber«, sagte sie mit Nachdruck, »es war ein großes Fest. Fasan. Ich glaube, es wurde Fasan serviert.«
»Gab es denn damals den Spiegel schon?«, fragte Ella schnell.
Estrid nickte gedankenverloren und sah sich weiter im Raum um. Da zwei der Wände mit großen Fenstern versehen waren, blieb lediglich eine Wand übrig. Die, in der sich die kleine Tür in der Wandverkleidung befand, die nun den einzigen Zugang zum Raum bildete.
Estrid deutete geradewegs auf die unauffällige Tür.
»Dort hing er.« Sie klang, als sei sie sich hundertprozentig sicher.
Ella zog die Augenbrauen hoch und ging auf die Tür zu. Sie betrachtete ihre Verankerung im Rahmen näher, konnte jedoch nichts entdecken, was darauf hindeutete, dass sie erst später eingebaut worden war. Die Scharniere waren alt, und der Türrahmen war im Laufe der Jahre mal mehr und mal weniger sorgfältig mit mehreren Farbschichten versehen worden.
Sie gingen wieder zu Kaffee und Kuchen vor dem Kachelofen über. Estrid wirkte während der restlichen Zeit ihres Besuchs ein wenig zurückhaltend und recht nachdenklich, doch ihre Miene hellte sich auf, als Ella ihr von Mikael erzählte. Ella behielt jedoch gewisse Einzelheiten für sich wie seinen Nachnamen und die Antwort auf die Frage, wie sie ihn eigentlich kennengelernt hatte. Denn sie war sich nicht sicher, wie es ankommen würde, wenn sie Estrid erzählte, dass Mikael im Garten seines Vaters ein Skelett gefunden hatte und dass dieser Vater kein Geringerer war als Arne Erlandsson, dessen Todesanzeige an Estrids Kühlschranktür hing. Doch es war zweifellos eine originelle Art, sich kennenzulernen, musste sie zugeben.
Ella war sich selbst nicht ganz im Klaren darüber, was sie
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