Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Erniedrigung der Toten oder Betroffenen, sondern lediglich dazu, den Mitarbeitern die Situation erträglicher zu gestalten.
Als Ella nach dem Mittagessen wieder an ihrem Schreibtisch saß, war sie absolut leer im Kopf. Man hatte ein außerordentliches Meeting mit den Ärzten einberufen, um den Vorfall mit ihrem Auto zu diskutieren. Sie hatte zwar ihr Möglichstes getan, um die Angelegenheit herunterzuspielen, doch Gerarldsson hatte ihre Hypothesen von einer Teeniegang und allerhand andere potenzielle Täter, die keinerlei Bezug zu ihrer Arbeit hatten, von der Hand gewiesen. Darüber hinaus hatte er allen Anwesenden eingebläut, ihn über sämtliche Geschehnisse zu informieren, die ihnen auffällig erschienen. Er nahm den Vorfall sehr ernst.
Jetzt saß sie an ihrem Schreibtisch und starrte apathisch Löcher in die Luft. Vor ihr lag das Kärtchen, auf das Hugo Rossing Gilbert Gustavssons Namen geschrieben hatte. Als sie einen Blick darauf warf, fiel ihr ein, dass ihr im Zusammenhang mit der Bitte an Jonny, Nachforschungen im Archiv der Polizei anzustellen, noch ein anderer Gedanke gekommen war. Es handelte sich zwar nur um eine Idee, aber sie sah darin einen Hoffnungsschimmer und eine Motivation, ihre Nachforschungen fortzusetzen.
Ella wählte die Nummer von Gilbert Gustavsson, der sich nach dem zweiten Klingeln meldete. Sie bedankte sich noch einmal für ihr Treffen neulich und die Informationen, die er ihr übermittelt hatte. Gilbert klang etwas abwartend, als Ella schließlich ohne Umschweife auf ihr Anliegen zu sprechen kam. Sie bat ihn um diverse Informationen aus dem Angestelltenregister, von dem sie inständig hoffte, dass es noch existierte. Es ging um eine Fabrik des Konzerns. Er zögerte anfänglich, versprach dann jedoch zu sehen, was er tun könnte. Ella versicherte ihm, dass sie die Informationen nicht weitergeben würde. Das war allerdings gelogen.
Seit Gilbert ihr davon erzählt hatte, was er in der betreffenden Nacht im Innenhof beobachtet hatte, hatte sie noch über eine weitere Möglichkeit nachgedacht als die, mit der sie sich seit einiger Zeit abzufinden versuchte. Aber es gab immer noch viele Fragezeichen, die erst geklärt werden mussten, bevor sie Hoffnung schöpfen konnte. Sie schob die Gedanken beiseite und versuchte sich auf die Stapel zu konzentrieren, die sich auf ihrem Schreibtisch schon wieder auftürmten. Das war eben der Nachteil, wenn man im Obduktionssaal effektiv arbeitete: Es fielen enorme Mengen an Folgearbeiten an. Sie blieb bis zum späten Nachmittag vor dem Mikroskop sitzen, während es ihr zunehmend schwerfiel, sich wachzuhalten, und sie schließlich spürte, dass es keinen Sinn mehr machte. Außerdem musste sie ihr Auto aus der Werkstatt holen und rief deshalb ein Taxi. An diesem Abend schaffte sie es weder zum Training noch sich etwas zu essen zu kochen, sodass sie mit einer Tütensuppe vorliebnehmen musste.
Der nächste Tag verging schneller, als Ella gedacht hatte. Es war bereits vierzehn Uhr, und sie hatte längst nicht alles geschafft, was sie sich vorgenommen hatte. Dennoch war es höchste Zeit zu gehen, wenn sie pünktlich kommen wollte. Verärgert stellte sie fest, dass sie sich nach der Obduktion mit dem Duschen und Schminken zu viel Zeit gelassen hatte.
Ella lief hinunter zu ihrem Wagen und fuhr los. An einer roten Ampel, die einfach nicht grün werden wollte, landete mitten auf ihrer warmen Motorhaube plötzlich ein gelber Schmetterling. Verwundert beobachtete Ella das kleine Geschöpf, das mit seiner bloßen Anwesenheit den Frühlingsanfang signalisierte. Ella atmete aus. Es war Frühling geworden. Ein weiteres Mal hatte er den langen Winter besiegt, der ihr in diesem Jahr karger als je zuvor vorgekommen war. Dieser Augenblick hatte für Ella etwas nahezu Religiöses. Zumindest soweit man es als Atheist empfinden konnte. Im selben Augenblick, als der Schmetterling von der Motorhaube abhob, ertönte hinter ihr eine Hupe. Ella zuckte zusammen und bemerkte erst jetzt die grüne Ampel und den Lastwagen im Rückspiegel. Die Magie des Augenblicks war verschwunden.
Als sie vor der Hochschule eine Parklücke und schließlich auch den richtigen Hörsaal gefunden hatte, hatte die Vorlesung bereits begonnen. Sie versuchte sich in den Saal zu schleichen, zog aber dennoch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. Die Männer und Frauen im Alter um die zwanzig warfen ihr verärgerte Blicke zu, und sie kam sich plötzlich uralt vor. Angesichts der Behauptung Mikaels,
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