Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
sie.
Mikael nickte kurz. Er schob Ella vorsichtig von seiner Brust und setzte sich mit dem Rücken zu ihr auf die Bettkante.
»Nachdem ich dich zum ersten Mal getroffen hatte, bin ich selbst neugierig geworden und habe seinen ehemaligen Arbeitskollegen aufgesucht«, begann Mikael.
Ella hörte aufmerksam zu.
»Du weißt bereits, was er getan hat, oder?«, fragte Mikael und begegnete ihrem Blick.
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich kann es mir denken, aber das reicht mir nicht.«
»Dir reicht es wohl nie, was?«, fragte er.
Sie schüttelte erneut den Kopf.
»Dann kannst du mir ja mal erzählen, wie du etwas wissen kannst, das der Arbeitskollege meines Vaters geschworen hat, niemandem jemals anvertraut zu haben«, sagte Mikael nachdenklich. »Als der Fehltritt meines Vaters ans Licht kam, tat man nämlich alles, damit kein Außenstehender etwas merken würde. Er musste noch am selben Tag seinen Hut nehmen.«
»Es ist etwas kompliziert«, antwortete Ella ausweichend. »Ich glaube jedenfalls nicht, dass dein Vater bei der Arbeit einen Fehltritt begangen hat. Er hat wohl eher getan, was er für notwendig hielt, und nahm dann schlicht und einfach die Konsequenzen auf sich.«
Mikael schwieg kurz und dachte darüber nach, was Ella gerade gesagt hatte.
»Eine Leiche stehlen?«, fragte er dann.
Ella nickte.
»Er hat es getan, um meinem Vater zu helfen. Um ihm beim Sterben zu helfen.«
Auch wenn die Wohnung noch keineswegs fertiggestellt war, war es Ella wichtig, sie Estrid zu zeigen. Ella wollte, dass sie die Erste sein würde, die sie sah. Jedenfalls, wenn man von dem nächtlichen Besuch in ihrem Schlafzimmer einmal absah. Damit die alte Dame sich nicht die Mühe machen musste, zu ihr zu kommen, hatte Ella sie mit dem Auto abgeholt. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, aber wie gewöhnlich entsprach die Temperatur an den frühen Frühlingstagen nicht ganz den Erwartungen, die Ella gehegt hatte, als sie sich anzog – sie hatte ihren Frühlingsmantel eingeweiht, der sich als viel zu dünn erwies.
Estrid war in dieser Hinsicht eine Frau mit bedeutend mehr Erfahrung. Sie trug bereits ihren Pelzmantel, als Ella an ihrer Tür klopfte. Wer weiß, wie lange sie schon so angezogen im Flur gestanden hatte, dachte Ella. Das Auto mit dem niedrigen Einstieg war nicht besonders gut geeignet für eine ältere Dame mit Gelenkbeschwerden, doch mit einer Bewegung, die eher einem Fall glich als einer bewussten Handlung, landete Estrid schließlich auf dem Beifahrersitz. Sie legten die lächerlich kurze Strecke schweigend zurück. Ella spürte, dass Estrid sie während der Fahrt beobachtete, beschloss jedoch, nach vorne zu schauen, um ihren neugierigen Blicken auszuweichen. Sie wollte ihr nichts verraten. Noch nicht. Es gab immer noch viel zu viele lose Fäden, die erst verknüpft werden mussten, ehe sie sich ein vernünftiges Bild von dem machen konnte, was geschehen war. Erst im Fahrstuhl nach oben zur Wohnung brach Estrid die Stille.
»Ich glaube, mit diesem Fahrstuhl bin ich schon einmal gefahren.«
Sie zögerte erst ein wenig, war sich dann aber sicher.
»Ja, in diesem Fahrstuhl und in diesem Haus war ich schon einmal. Aber das ist viele Jahre her«, fügte sie hinzu.
Als der Fahrstuhl anhielt und Ella die Gittertür geöffnet hatte, machte Estrid ein paar zögerliche Schritte auf die große Wohnungstür zu.
»Nein, die ist es nicht«, sagte Ella. »So gut zahlt der Staat nun auch wieder nicht. Die kleine Tür ist meine«, erklärte sie und wies auf die etwas versteckte Öffnung in der Wandverkleidung.
Estrid sah etwas beschämt aus, als sie sich umdrehte und die zweite Tür entdeckte.
»Ich habe die Leute noch nicht kennengelernt, die dort wohnen. Aber vielleicht kennst du sie ja«, versuchte Ella es, um die Stimmung etwas aufzuheitern.
Estrid schüttelte den Kopf.
»Vermutlich war ich irgendwann in den 60er Jahren einmal hier und habe bedient«, sagte sie mit einem Seufzer. »Ansonsten pflege ich eher keinen Umgang mit den Frauen aus der besseren Gesellschaft. Jedenfalls bis jetzt nicht«, fügte sie hinzu und zwinkerte Ella zu.
Ella führte sie erst in dem engen, etwas dunkleren Teil der Wohnung herum und schob dann den Vorhang zur Seite, woraufhin sie den großen Saal betraten. Erstaunt ließ Estrid ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie hielt kurz bei der Tischuhr inne, die Ella immer noch auf dem Parkettboden stehen hatte, schien sie jedoch nicht wiederzuerkennen. Vor dem Kachelofen hatte Ella einen
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