Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
dass sie die Anzahl der Zuhörer im Saal erhöhen würde, konnte sie nur lächeln. Denn der große Hörsaal war fast voll besetzt, nur in den hintersten Reihen waren noch Plätze frei. Mikael stand mit einer Art Fernbedienung auf einem Podium, mit der er das Licht im Saal sowie den Diaprojektor regulieren konnte. An der Wand zeigte er Fotos von einem imposanten Gebäude nach dem anderen, aber auch viele Bilder von Details an den Fassaden. Ella war fasziniert davon, wie es ihm gelungen war, diese eindrücklichen Details an den geschmacklosesten Bauwerken einzufangen.
Die zwei Stunden, die seine Vorlesung dauerte, vergingen schnell, aber alle Einzelheiten, die er während seines Diavortrags beschrieb, verschwanden aus Ellas Kopf, sobald sie sie gehört hatte. Sie musste einen inneren Impuls unterdrücken, einen Block zu zücken und sich Notizen zu machen. Die Gewohnheiten aus ihrer Studienzeit waren tief in ihr verwurzelt. Ihre unleserliche Handschrift hatte ihren Ursprung in der Notwendigkeit, sich während des Studiums rasch Aufzeichnungen zu machen. Dasselbe galt für viele ihrer Kollegen, zum Verdruss der Apotheker, die oftmals verzweifelt versuchten, ihr Gekrakel zu entziffern. Dann zeigte Mikael ein Bild von einem riesigen Gebäude, das sich wie eine Pyramide gen Himmel auftürmte. Ella hatte es schon einmal gesehen. Es war eine Kathedrale in Rio de Janeiro. Mikael sprach engagiert über dieses Juwel, das doch immer im Schatten des Wahrzeichens der Stadt blieb, der Jesusstatue auf dem Berg. Sie war fünfundsiebzig Meter hoch, und es hatte fünfzehn Jahre gedauert, sie zu errichten. Dann sagte er es.
Ella saß wie versteinert da. Hatte sie richtig gehört? Ihr Puls raste. War das denn möglich? Sie schloss die Augen und ließ die Bedeutung dessen, was sie gerade gehört hatte, auf sich wirken.
Auch wenn die Vorlesung nur noch zehn Minuten dauerte, konnte sie nicht länger stillsitzen. Sie stand auf und unternahm einen vergeblichen Versuch, sich unbemerkt hinauszuschleichen. Als sie die Tür öffnete, begegnete sie Mikaels fragendem Blick, woraufhin sie lächelte, ihr Handy hervorholte und entschuldigend darauf zeigte. Er nickte kurz. Das war der Vorteil eines Diensthandys, man konnte es gelegentlich als Vorwand verwenden. Als sie aus dem Hörsaal kam, sank sie an die Wand gelehnt zusammen und schloss die Augen. Die Gedanken wirbelten nur so in ihrem Kopf herum. Die Information, die sie gerade erhalten hatte, beinhaltete, dass ihre Annahme von vor einigen Wochen offenbar doch nicht stimmte, eine Annahme, die sie versucht hatte zu akzeptieren. Doch die Information hatte noch etwas weitaus Entscheidenderes verändert. Sie konnte oder wollte vielleicht auch nicht das gesamte Ausmaß dessen sehen, was es mit sich brachte. Doch im Moment hatte sie nicht die Zeit, weiter darüber nachzudenken, redete sie sich ein und konzentrierte sich stattdessen darauf, wie sie weiter verfahren sollte. Die Anstrengung war beinahe übermenschlich. Dennoch richtete sie sich auf, ging auf eine Bank zu und setzte sich, um auf das Ende der Vorlesung zu warten.
Es dauerte nicht lange. Bald drängten die Studenten aus dem Hörsaal heraus, Mikael kam als Letzter, gefolgt von einer Schar junger Frauen. Ella beobachtete amüsiert, wie sie ihn umschwärmten, und empfand nicht einmal einen Anflug von Eifersucht. Als er ihre Fragen beantwortet hatte und sie schließlich den Korridor verlassen hatten, ging er auf Ella zu.
»Du bringst mich ganz schön aus dem Konzept«, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Gut so«, entgegnete sie zufrieden.
Er beugte sich vor und küsste sie.
Ella betrachtete Mikael, der erschöpft neben ihr auf seinem Bett lag. Im Zimmer war es dunkel, aber sie konnte die Umrisse seines Körpers erkennen. Trotz seines Körperumfangs war er immer einfühlsam und zärtlich, als hätte er Angst, ihr wehzutun. Sie streichelte seine Brust.
»Was hat dein Vater im Krankenhaus eigentlich verbrochen, dass ihm gekündigt wurde?«, fragte sie plötzlich.
Mikael drehte sich um und blickte sie verdutzt an. Dann lächelte er.
»Du bist nur auf Informationen aus und tust offenbar alles, um an sie heranzukommen.«
»Weißt du es?«, fragte sie ernst.
Mikael umfasste sie und zog sie an sich heran. Er betrachtete sie prüfend, lächelte wieder und schüttelte dann den Kopf.
»Du gibst niemals auf, oder?«
Ella legte sich auf ihn. Ihr Gewicht auf seinem Brustkorb schien ihm nichts auszumachen.
»Weißt du es?«, wiederholte
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