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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Palm
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Estrid den Schlüssel im Schloss drehte, kam der erste Schlag. Er traf sie am Hinterkopf. Sie fiel haltlos zu Boden. Als sie sich umdrehte und aufschaute, sah sie Alfred über sich stehen und mit einem Holzscheit ausholen. Seine Augen waren blutunterlaufen und sein Blick leer. Sein Atem roch nach Alkohol, während seine Kleidung nach Urin stank.
    Er trat sie ins Gesicht und in den Bauch. Dann vergewaltigte er sie im Treppenhaus, während das Blut aus der Wunde an ihrem Hinterkopf rann. Während der gesamten Misshandlung stand die Vermieterin da und beobachtete alles. Sie verzog keine Miene.
    Als der Krankenwagen kam, fanden die Sanitäter Estrid unterhalb der steilen Holztreppe liegend. Die Vermieterin hatte angegeben, ein lautes Krachen gehört und daraufhin ihre Mieterin dort unten entdeckt zu haben. Sie hatte sich selbst verwünscht, kein stabileres Treppengeländer eingebaut zu haben.
    Grete war wie ausgewechselt, als sie Estrid im Krankenhaus besucht hatte. Sie hatte Estrids Hand gedrückt und sie um Verzeihung gebeten, dass sie sie vor einem Abschaum wie Alfred nicht hatte schützen können. Estrids Hilflosigkeit hatte offenbar Gefühle in Grete geweckt, die sie früher nie zugelassen hatte. Gefühle, die sie längst verdrängt hatte, um überleben zu können.
    Im Krankenhaus stellte sich heraus, dass man den Aussagen der Vermieterin Glauben geschenkt hatte, und alle auf der Station glaubten, Estrid wäre tatsächlich die Treppe heruntergefallen. Außerdem gab es ein halbes Dutzend Hafenarbeiter, die beschwören konnten, dass sie Alfred an Bord seines Schiffes hätten gehen sehen.
    Als Estrid Grete diese Umstände erklärt hatte, hatte sie freundlich nach der Adresse des Mietshauses im Hafen gefragt. Dann hatte sie Estrid in ihrem Krankenhausbett zurückgelassen.
    Über einen Tag und eine Nacht lang hatte Estrid einsam dagelegen und an die Decke gestarrt. Am zweiten Tag bekam sie unerwartet Besuch von der Polizei. Aufmerksam saßen die Polizisten an ihrer Seite, während sie ihnen berichtete, was passiert war. Sie erklärte ihnen, dass sie davon ausging, dass Alfreds Kameraden am Hafen ihm ein Alibi geben würden, doch zu ihrem Erstaunen schien die Polizisten das nicht weiter zu bekümmern. Offenbar gab es eine Zeugin des Geschehens. Die Vermieterin hatte sich bei der Polizei gemeldet und eine detaillierte Beschreibung des Verlaufs der Ereignisse abgegeben. Eine Beschreibung, die sich als ausreichend erweisen würde, um zusammen mit Estrids Verletzungen und Schilderungen vier Monate später eine Verurteilung Alfreds zu sechs Jahren Gefängnis wegen Mordversuchs und Vergewaltigung zu erwirken. Während der gesamten Gerichtsverhandlung hatte die Vermieterin es nicht ein Mal gewagt, einen Blick auf die Zuschauerbank zu werfen. Aus den Augenwinkeln hatte sie gesehen, wie sich die gut gekleidete Dame in die letzte Reihe setzte. Sie hatte noch immer eine Todesangst, dem Blick dieser Dame zu begegnen. Ein Blick, den sie bedeutend mehr zu fürchten schien als den, mit dem Alfred sie bedacht hatte, als sie ihre Zeugenaussage ablegte.
    Estrid hatte nie gefragt, und Grete hatte es ihr auch nie erzählt, was die Vermieterin dazu veranlasst hatte, zur Polizei zu gehen und die Wahrheit zu sagen. Hingegen hatte sie sich viele Male selbst gefragt, was eine derart abgehärtete Frau, die täglichen Umgang mit ungehobelten Seemännern pflegte, nachgeben ließ. Vielleicht lief auch jetzt wieder alles nur auf die eine Frage hinaus: wozu ihre ehemalige Arbeitgeberin eigentlich in der Lage war.
    Estrid betrachtete Grete in ihrem Krankenhausbett. Sie war so mager und zerbrechlich und zugleich die stärkste Frau, der sie je begegnet war. Sie war ihr alles schuldig. Estrids nächtlicher Besuch mochte einem Außenstehenden womöglich alles andere als rational erscheinen. Und dennoch hatte sie nur einem Impuls nachgegeben, der sich auf eine lange zurückliegende Absprache der beiden Damen gründete. Ein Gespräch über die Klippe. Grete war in einem Punkt sehr deutlich gewesen. Sie würde niemals in einem Altersheim landen und dort gepflegt werden wie eine Zimmerpflanze. So hatte sie sich ausgedrückt.
    »Lassen Sie mich bloß nicht da liegen, während mir der Speichel aus dem Mund rinnt.«
    Estrid griff nach einem Kissen und sah sich im Zimmer um. Keiner hatte sie kommen und keiner würde sie gehen sehen.
    Auf Gretes kleinem Nachttisch lag ein Notizblock. Mit großen krakeligen Buchstaben hatte jemand darauf geschrieben:

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