Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
die Antwort. Sie schwieg jedoch und dachte eine Weile nach.
»Konnten Sie eigentlich im Nachhinein sagen, wann mein Vater seinen eigenen Coup gegen Ernsts Finanzen durchgeführt hat?«
»Ja.«
Die Antwort kam postwendend.
»Frederick ließ am 22. März offenbar in aller Eile 980 000 Kronen verschwinden.«
»Am Tag, bevor Sie ihm von Ihren nächtlichen Beobachtungen in Ernsts und Gretes Innenhof berichtet haben«, folgerte Ella nachdenklich.
Gilbert Gustavsson nickte. Er schien bereits auf denselben Gedanken gekommen zu sein wie Ella. Sie saßen da und nippten im Schein des Feuers im Kachelofen an ihrem Whisky. Es gab nichts mehr zu sagen. Schließlich holte Gilbert seine Mappen hervor, die er aus dem Archiv geholt hatte. Er reichte sie Ella, die sie in ihren Händen zu wiegen schien, bevor sie sie ihm zurückgab.
»Ich möchte gerne alles über den Vorarbeiter in der Fabrik, diesen Klaus erfahren. Den Deutschen. Ich frage mich, ob er im Jahr 1977 immer noch dort gearbeitet hat.«
Als Gilbert die Mappen entgegennahm, fiel das Schwarz-Weiß-Gruppenfoto von 1974 heraus. Ella hob es auf und betrachtete es. Neugierig beugte sich Gilbert über ihre Schulter und studierte es ebenfalls. Der Kleidung der Menschen auf dem Foto nach zu schließen, war es im Sommer aufgenommen worden. Die Männer standen allesamt entweder mit bloßem Oberkörper oder im Unterhemd da. Sie trugen verschlissene Hosen aus grobem Stoff und hatten schmutzige Hände. Ellas Blick fiel auf einen hochgewachsenen Mann in weißem Netzhemd auf der rechten Bildseite. Er wirkte ernst und starrte direkt in die Kamera. Sie zeigte mit dem Finger auf ihn.
»Ist das Klaus?«
Gilbert drehte das Foto ein wenig und hielt es mit ausgestrecktem Arm von sich weg, um die Person näher in Augenschein zu nehmen, auf die Ella gezeigt hatte. Er nickte.
»Klaus Hoffman.«
Dann erblickte er etwas, das er beim ersten Betrachten des Fotos übersehen hatte. Unter dem Netzhemd des Deutschen verliefen über beide Schultern Riemen, die hinunter zu den Achselhöhlen führten.
»Trug er auf dem Gruppenfoto etwa ein Pistolenhalfter?«, fragte Gilbert skeptisch.
Ella nahm das Bild wieder an sich und inspizierte die Riemen um die Schultern des Deutschen näher. Sie lächelte kurz.
»Nein, das ist kein Pistolenhalfter«, sagte sie mit Nachdruck.
Ein paar Stunden später rief Ella Gilbert ein Taxi. Sie begleitete ihn hinunter bis zur Haustür, wo das Taxi bereits wartete. Er ließ sich auf direktem Weg zum Bahnhof bringen. Ella hatte ihm einen Zug gebucht, der zehn Minuten nach seiner Ankunft am Bahnhof abfuhr. Gilbert wäre angesichts seiner neurotischen Persönlichkeit zwar lieber schon eine Stunde vor Abfahrt des Zuges dort gewesen, doch Ella hatte ihn an Waldemars Besuch in seiner Wohnung erinnert, was ihn umstimmte. Hingegen hatte er ihr sofort zugestimmt, dass es das Beste für ihn wäre, die Stadt für eine Zeit zu verlassen. Er hatte ihr auch gleich einen Vorschlag unterbreitet: Seine Schwester war seit kurzem Witwe. Er hatte sie seit der Beerdigung nicht mehr besucht und sah jetzt die Gelegenheit gekommen, seine Flucht damit zu verbinden, sich um seine Schwester zu kümmern. Um Gilbert zu beruhigen, hatte Ella ihm neue Rezepte für seine blutdrucksenkenden Medikamente ausgestellt. Sie wusste zwar nicht mehr, welche Dosen empfohlen wurden, doch das erwies sich als das geringste Problem, da Gilbert sowohl den Namen des Arzneimittels als auch die Stärke und die Dosierung auswendig wusste. Er war merklich irritiert darüber, seinen Blutdruck nicht wie gewohnt kontrollieren zu können.
Erst als Gilberts Taxi aus Ellas Blickfeld verschwunden war, konnte sie erleichtert ausatmen. Seine Nachforschungen hatten zwar einige Fragen, über die sie lange nachgegrübelt hatte, beantworten können, aber es war anstrengend gewesen, ihn bei sich in der Wohnung zu haben. Beim geringsten Geräusch war er aufgesprungen, und sein intensiver, unruhiger Blick hatte selbst Ella nervös gemacht. Jetzt ließ sie sich ein heißes Bad ein und zündete ein paar Kerzen im Badezimmer an. Bis zum Kinn im warmen Wasser versunken, überkamen sie die Gedanken. Sie hatte widerwillig zu akzeptieren begonnen, was das Foto aus dem Archiv andeutete. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie Klaus auf dem Foto sah, hatte sie daran gezweifelt, wer er eigentlich war. Doch diese Zweifel waren nun so gut wie ausgeräumt. Eigentlich hatte sie die Absicht gehabt abzuwarten, bis sie auf alles eine Antwort hatte, doch jetzt
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