Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
standen zwei braune Papiertüten. Sie horchte nach eventuellen Schritten draußen im Korridor, doch im Büro war alles still. Sie nahm die kleinere der beiden Papiertüten in die Hand und schüttelte sie leicht. Es raschelte. Die mit Grünspan überzogenen Kupferperlen, dachte sie. Die größere der beiden Tüten war bedeutend schwerer. Sie öffnete sie und versuchte zu begreifen, was sie da eigentlich vor sich hatte. Das eine Ende des Gegenstands war aus Gummi und ähnelte irgendwie einer Zahnschiene, während das andere einen fast zehn Zentimeter langen Metallzylinder darstellte. Wachsam spähte sie in den Korridor hinaus, bevor sie den Gegenstand vorsichtig aus der Tüte nahm und ihn eingehender betrachtete. Als ihr aufging, was sie in Händen hielt, strich unfreiwillig ein Lächeln über ihre Lippen. Mit einem Mal begriff sie, was sie zuvor auf den Fotos der Polizei vom Fundort gesehen hatte. Das war keine Thermoskanne. Sie legte den Gegenstand behutsam wieder zurück in die Tüte und stellte sie wieder ins Bücherregal. Als sie die Tür öffnete, stand Simon vor ihr. Er trug noch immer seine Obduktionskleidung und schaute sie verwundert an, während sie mit der Gießkanne in der einen Hand dastand.
»Ich wollte nur nach deinen Pflanzen schauen«, sagte sie entschuldigend und schob sich an ihm vorbei.
»Ich habe überhaupt keine«, entgegnete er befremdet.
»Das habe ich gemerkt«, sagte Ella mit einem Lächeln und ging weiter in Richtung eines größeren Blumentopfs in der Bibliothek.
Ihr Puls war immer noch hoch, als sie mit einer gewissen Irritation feststellte, dass die Pflanzen in der Bibliothek aus Kunststoff waren.
»Ich glaube, du musst akzeptieren, dass dein grüner Daumen nicht deine größte Begabung ist«, sagte Simon mit einem Lächeln.
Ella stellte die Gießkanne ab und richtete sich auf. Er hatte recht; sie hatte kein Talent für Pflanzen und sah zugleich ein, dass ihre Fertigkeiten als Bürospionin ebenfalls verbesserungswürdig waren. Sie konnte nur hoffen, dass Simon nicht gesehen hatte, wie sie in seinem Zimmer herumschnüffelte. Er musste irgendetwas in seinem Büro vergessen haben, das er unten im Obduktionssaal benötigte, dachte Ella, denn er war gleich wieder aus seinem Zimmer herausgekommen und zurück nach unten gegangen.
Sie kehrte in ihr eigenes Zimmer zurück und setzte sich, stellte jedoch nach nur wenigen Minuten Arbeit mit diversen Obduktionsprotokollen fest, dass sie viel zu aufgewühlt war, um stillsitzen zu können. Sie ließ die Schultern sinken und versuchte sich zu entspannen. Um zu Ende bringen zu können, was sie angefangen hatte, musste sie konzentriert sein. Ein Wochenende in einem Spa wäre genau das, was sie jetzt benötigte, redete sie sich ein. Seit den Weihnachtsferien gemeinsam mit Markus in den Bergen hatte sie nicht mehr freigehabt. Doch auch während dieser Tage war ihre Angst greifbar gewesen, und eine innere Ruhe hatte ihr der Aufenthalt kaum vermittelt. Sie beide waren so unsicher gewesen und hatten sich nach ein paar Tagen einvernehmlich damit abgefunden, dass ihre Beziehung zu Ende war.
Ella versuchte sich stattdessen ein luxuriöses Spa mit Massage und Entspannung auszumalen, das sie allein besuchte. Merkwürdigerweise tauchte dabei auch immer wieder Mikael Erlandsson auf. Vielleicht könnte er ja abends dort hinkommen, dachte sie und musste lächeln. Sie unterbrach ihre Gedankengänge und musste an Judits Worte denken. Die Ähnlichkeit zwischen Gretes Station in der neurologischen Klinik und einem Spa lag zwar nicht gerade auf der Hand, aber die alte Dame verlangte dennoch nach dem Morgenmantel, den sie gewohnt war zu tragen. Vielleicht nicht ganz abwegig im Hinblick auf das Kleidungsangebot auf der Station. Das Pflegepersonal hätte wohl kaum akzeptiert, einem alten Weibsbild in enganliegende Chanelkostüme hineinzuhelfen, wo es doch praktische Nachthemden mit durchgehender rückwärtiger Knopfleiste gab. Ella musste zugeben, dass ihr der Gedanke an Grete in Krankenhauskleidung gefiel.
Bevor Ella für ihren Besuch bereit war, hatte sie noch ein paar Dinge zu erledigen. Bereits gegen Mittag verließ sie das Büro und steuerte die mit Abstand teuerste Villengegend der Stadt an. Hohe Mauern und dichte Hecken schützten die privilegierten und oftmals scheuen Bewohner vor Einsicht. In dieser Gegend hatte Ella in der Zeit vor dem Brand ihre ersten Lebensjahre verbracht. Inzwischen lebten hier hauptsächlich die Reichen und Berühmten, die ihre Villen
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