Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
abgeschiedenen Raum innerhalb des Obduktionssaals, in dem die erweiterten Obduktionen stattfanden, drei Stunden mit dem Skelett zugebracht. Fälle wie diese wurden deshalb gesondert von den übrigen Routinefällen behandelt, weil die Kriminaltechniker, die während der Obduktionen anwesend waren, nicht mehr Leichen zu Gesicht bekommen wollten als unbedingt notwendig.
Als Simon aus dem Saal heraufkam, ging er geradewegs in sein Büro und schloss die Tür. Ella wäre gerne zu ihm gegangen, um ihn zu fragen, wie es gelaufen war, beschloss jedoch, sich zurückzuhalten, und nahm sich stattdessen der eingegangenen E-Mails und ihrer Post an. Zu ihrem Erstaunen hatte sie eine Mitteilung vom Auktionshaus erhalten. Sie hatte das Gebot, das sie für die Tischuhr abgegeben hatte, völlig vergessen. Es stellte sich heraus, dass die Uhr nun ihr gehörte. Es waren keine weiteren Gebote abgegeben worden, und die Uhr stand der Mitteilung zufolge nun im örtlichen Büro des Auktionshauses zur Abholung bereit. Dass außerdem eine sogenannte Provision fällig würde, ging ebenfalls mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit aus dem Schreiben hervor. Ella wollte sich gerade für ihren impulsgesteuerten Einkauf verdammen, den sie unmöglich noch zu Hause würde unterbringen können, als ihr einfiel, dass die Tischuhr bestimmt ausgezeichnet in ihr neues Zuhause passen würde. Mit einem Anflug von Optimismus beschloss sie, sich der ansehnlichen Stapel mikroskopischer Präparate anzunehmen. Vielleicht konnte sie noch einen Fall von plötzlichem Kindstod abschließen, bevor sie sich später am Nachmittag im Gericht einfinden musste.
Das vier Monate alte Kind war tot in seinem Kinderbett aufgefunden worden. Aus einer Tradition heraus, die noch aus der Zeit stammte, in der man annahm, dass unvorsichtige Mütter ihre Kinder falsch gebettet hatten, wurden alle verstorbenen Babys von Rechtsmedizinern untersucht. Man hatte enorme Mühen auf sich genommen, um diese offenkundig unerklärlichen Todesfälle aufzuschlüsseln, doch leider ohne größeren Erfolg. Man hatte zwar Risikofaktoren gefunden und diese versucht auszuschalten, um die Anzahl der Todesfälle zu reduzieren, aber viel weiter war man eigentlich nicht gekommen. Bei der mikroskopischen Untersuchung Erwachsener richtete sich der Fokus hauptsächlich auf Teile des Herzens, der Leber, der Lungen, der Nieren und der Bauchspeicheldrüse. Anders war es hingegen bei Fällen, die den Verdacht auf einen plötzlichen Kindstod nahelegten, wo im Prinzip alle einzelnen Organe untersucht wurden. Ella war nicht der Meinung, dass man den plötzlichen Kindstod als faktische Todesursache ansehen konnte, da er voraussetzte, dass sich alles normal verhielt. Sie würde dementsprechend alle Gewebeteile untersuchen und feststellen, dass sie keinen positiven Befund erbrachten, bevor sie die Diagnose stellen durfte, was genauso unbefriedigend war, wie bei einem Erwachsenen die Diagnose Causa mortis ignota zu stellen. Todesursache unbekannt, Code 798X. Diese Diagnose wurde zwar nicht oft gestellt, aber es kam durchaus vor. Die Rechtsmediziner waren eben darauf angewiesen, dass die Todesursache in gewisser Weise eine Spur hinterließ, damit sie sie zuordnen konnten. Wie verletzte Herzmuskelzellen nach einem Herzinfarkt, entzündete Zellen im Lungengewebe bei einer Lungenentzündung oder eine tödliche Konzentration eines Arzneimittels im Blut. Doch alle Krankheiten konnte man nicht nachweisen.
Der Herzrhythmus. Was konnte man schon über den Herzrhythmus in Erfahrung bringen, wenn das Herz nicht mehr schlug? Manchmal wies die mikroskopische Untersuchung des Herzmuskels Veränderungen auf, die auf ein erhöhtes Risiko von Herzrhythmusstörungen schließen ließen, aber eben nicht immer. Manchmal mussten sich die Rechtsmediziner in diesen höchst akademischen und für die Polizei vollkommen unbegreiflichen und oftmals uninteressanten Überlegungen zur Todesursache auch geschlagen geben. Solange nichts darauf hindeutete, dass der Todesfall durch eine andere Person verursacht wurde, verlor die Polizei oftmals das Interesse. Dann blieb es Ella und ihren Kollegen überlassen, der Frage nachzugehen, wie der Tod wieder einmal unmittelbar vor ihrer Nase ein Leben auslöschen konnte, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen. In diesen Fällen war es unmöglich, den Gedanken abzuschütteln, dass man höchstwahrscheinlich etwas übersehen hatte.
Ella hatte in dem kleinen Gehirn des Babys gerade eine geringe Ansammlung
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