Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
fühlte sich der Steinboden unter ihren nackten Füßen eiskalt an. Weil sie sich keinen anderen Rat wusste, wollte sie einen neuen Versuch mit dem Buch unternehmen, das sie aus dem Regal genommen hatte. Als sie die Tür zu ihrem kleinen Büro aufschob, hörte sie ein schleifendes Geräusch, gefolgt vom gedämpften Knirschen von Glassplittern auf dem Teppich. Sie fuhr zusammen und ließ das Buch fallen. Vorsichtig warf sie einen Blick in den Raum. Einer ihrer Spiegel war aus irgendeinem Grund heruntergefallen, sodass der gesamte Fußboden jetzt mit spitzen Scherben aus Spiegelglas bedeckt war.
Im Unterschied zu den speziell gehärteten Windschutzscheiben von Autos, die in stumpfe Teile zersplitterten, unter denen man manche Verkehrstoten fand, zerbarsten alte Spiegel in lebensgefährliche Scherben. Ella schaltete den Kronleuchter an der Decke an und stellte mit einer gewissen Erleichterung fest, dass es sich nur um einen ihrer frühen, weniger wertvollen Spiegel handelte, der einen Bauchklatscher auf den mit einem Teppich bedeckten Steinfußboden gemacht hatte. Sie betrachtete die Reste des Spiegels und erblickte schließlich mit gerunzelter Stirn den Gegenstand, der inmitten der Scherben lag. Es war ein Golfschläger. Ein Putter. Ein Geschenk, das Ella Markus vor einigen Jahren gemacht hatte und eigentlich als Scherz gedacht war. Sie war nie davon ausgegangen, dass Markus sich wirklich hinstellen und in Richtung des lächerlichen Lederbechers putten würde, den sie im Set mit dem Schläger gekauft hatte. Viele Male hatte sie bereits die Wahl ihres Weihnachtsgeschenks bereut, als das Geräusch von über den Boden rollenden Golfbällen ihre Abendlektüre störte.
Etwas irritiert stellte sie den Golfschläger zur Seite und begann die Glasscherben aufzusammeln. Seit über einem Jahr hatte das Golfspielen in der Wohnung aufgehört. Markus hatte Ella beschuldigt, den Schläger weggeworfen zu haben, während sie ihm amüsiert unterstellte, langsam dement zu werden, weil er einen gut einen Meter langen Metallstab verlegt hatte. Deshalb gestand sie sich jetzt mit einem gewissen Schuldbewusstsein ein, dass der Golfschläger ein ganzes Jahr lang hinter der Tür ihres Zimmers gestanden haben musste. Eine der größten Scherben glich nahezu einem klassischen Gurkhamesser. Mit dieser Scherbe in der Hand hielt sie plötzlich inne. Für einen Augenblick meinte sie den Duft eines Parfüms zu vernehmen. Ein schwacher Geruch nach Teak und Leder. Sie hielt die Scherbe unter die Nase und atmete tief ein. Der Geruch war verschwunden. Vielleicht hatte sie aus irgendeinem Grund den letzten Rest des Dufts eingeatmet, der sich in ihr Zimmer verirrt hatte. Wahrscheinlicher war es jedoch, dass sie ihn sich nur eingebildet hatte.
Sie warf die Glasscherben weg und saugte dann den Teppich minutiös ab. Der Vorteil von modernen Wohnungen war unbestreitbar ihre Geräuschisolierung. Kein Nachbar würde sich über eine nächtliche Putzaktion beschweren, wie sie sie gerade durchführte. Die Scherben, die sie aufsammelte, waren auf einer Seite mit einer dünnen Silberfolie überzogen. Die Methode wandte man erst seit dem 19. Jahrhundert an, indem man die bedeutend giftigere Legierung von Quecksilber und Zinn ersetzte. Da der Spiegel nicht als antik eingestuft wurde, würde es nicht viel ausmachen, wenn sie das alte Glas durch neueres ersetzte. Ohne sein Originalglas würde ein Spiegel bei einer Auktion allerdings nie seinen vollen Wert einbringen. Dass der Spiegeleffekt des Glases bei antiken Stücken dagegen mit den Jahren verloren ging, war dagegen von geringerer Bedeutung.
Sie schob die Gedanken an den Spiegel beiseite, setzte sich in den großen Sessel und begann zu lesen. Das Buch hatte, genau wie sie es sich erhofft hatte, einen gewissen einschläfernden Effekt, sodass sie nach nur zwanzig Minuten wieder zurück ins Bett gehen konnte. Vorsichtig kroch sie unter die dicke Daunendecke. Markus’ ruhige Atmung ließ den Druck auf ihrer Brust wachsen. Sie würde ihn enorm vermissen.
Draußen war es ungewöhnlich kalt. In einer Landschaft, in der Schnee normalerweise eine Rarität darstellte, lagen jetzt hohe Schneewehen. Ella nutzte ihre Mittagspause, um hinunter zum Auktionshaus zu fahren, wo sie der Mail zufolge die Tischuhr abholen konnte. Sie parkte direkt vor dem Gebäude und überlegte, ob sie den Wagen im Leerlauf stehen lassen sollte, während sie hineinsprang. Vor ihr hatte eine junge Frau mit einem alten VW Käfer geparkt und stieg
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