Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
gerade aus. Sie trug einen grünen Anorak und einen roten Palästinenserschal. Ella schaltete den Motor ab und stieg ebenfalls aus. Man hatte dem Celica zwar den brennstoffeffektivsten Motor attestiert, doch sein sportliches Aussehen bewirkte, dass viele Umweltfreunde ihn mit verächtlichen Blicken bedachten. Ella hatte weder Lust, von der jüngeren Frau beschimpft zu werden, die sie vorschnell als wissenschaftlich unbeleckte Umweltschützerin einstufte, noch ihr erklären zu müssen, dass der Katalysator ihres Wagens die Abgase erst effektiv filterte, wenn der Motor warm war. Ella hatte weder viel Ahnung von Umweltfragen noch von Autos, hatte sich im Laufe der Jahre jedoch einiges über Katalysatoren angelesen. Es war notwendig gewesen, um zu verstehen, warum sie inzwischen nicht immer einen erhöhten Gehalt von Kohlenmonoxid im Blut der Verstorbenen fand, die sich vergasten. Das betraf vor allem diejenigen, die sich in neueren Automodellen das Leben nahmen, in denen der Katalysator die Abgase effektiv von Kohlenmonoxid reinigte. Sie starben stattdessen an einer Kombination von Sauerstoffmangel und Kohlendioxidvergiftung. Das Ergebnis war allerdings dasselbe.
Auf dem Weg ins Auktionshaus rannte sie beinahe einen älteren Herrn im Tweedanzug um, der ein großes unförmiges Paket trug, das Ella an ein in Sackleinen eingewickeltes Porzellantier erinnerte.
»Die Jugend von heute«, hörte sie ihn brummen, bevor er in die Kälte hinaus verschwand. Vielleicht sah sie doch gar nicht so alt aus, dachte sie und ging auf den Tresen zu.
»Ich habe offenbar das höchste Gebot für eine alte Uhr abgegeben«, erklärte Ella sachlich.
Die junge Frau hinter dem Tresen nickte freundlich.
»Haben Sie zufällig die Artikelnummer der Ware?« Ihre Stimme war dünn.
Ella nannte ihr die Nummer, die in der Mitteilung gestanden hatte, woraufhin die Frau unverzüglich zwischen den Regalen verschwand. Als sie sich umdrehte, fiel Ellas Blick auf ihr Handgelenk, das für den Bruchteil einer Sekunde unter ihrem dicken Strickpullover hervorlugte. Die Narben verliefen quer und parallel zueinander und waren inzwischen verblasst und gut verheilt. Sie tippte darauf, dass das andere Handgelenk genauso aussah, und konnte nur hoffen, dass die junge Frau ihr selbstdestruktives Verhalten inzwischen aufgegeben hatte. Trotz vieler Jahre im Beruf fiel es Ella schwer, ihren forschenden Blick abzulegen, der wie ein Bluthund nach dem kleinsten Anzeichen für eine Gewalteinwirkung suchte. Vielleicht versuchte sie mit dem weiten Pulli auch eine Essstörung zu kaschieren, dachte sie, bevor die Frau zurückkam. Diesmal begutachtete sie das Gesicht der jungen Frau aufmerksamer und stellte fest, dass sie diese leichte Gesichtsbehaarung um die Kiefergelenke aufwies, die man Lanugobehaarung nannte. Es war gewiss kein sicheres Anzeichen, aber vielleicht ein Fingerzeig, dass Ella bezüglich der Essgewohnheiten der jungen Frau nicht ganz falsch lag. Über dem Pulli trug sie eine Berlocke an einem dünnen Lederband. Sie stellte einen fünfstrahligen Stern dar, dessen silberfarbener Draht um die eigenen Strahlen geflochten war. Abergläubisch ist sie auch noch, dachte Ella. Zu Ellas Bestürzung wurde diese Eigenschaft inzwischen allgemein als völlig normal angesehen. Man nannte es nur anders, zum Beispiel Feng-Shui. Für Ella war Aberglauben nichts anderes als eine unzureichende Erklärung von Phänomenen und Gefühlen, für deren Analyse einem der Verstand oder das Wissen fehlte.
Die junge Frau räusperte sich, und Ella konzentrierte sich wieder auf ihr eigentliches Anliegen. Sie hoffte, dass sie nicht zu lange dagestanden und sie angestarrt hatte.
»Hier ist sie«, erklärte sie und stellte die Bronzeuhr auf den Tresen.
Ella beugte sich hinunter, um sie eingehender zu betrachten. Merkwürdigerweise kam es ihr gar nicht vor, als würde sie sich darüberbeugen. Um sie genauer ansehen zu können, musste sie sich eher auf Zehenspitzen stellen. Sie hatte sich ins Wohnzimmer geschlichen, das nur benutzt wurde, wenn Gäste kamen. Die Uhr war so hübsch mit ihren pausbackigen kleinen Engeln, die oberhalb des runden Zifferblatts hockten. Sie wollte sie gerne herunterholen, um sie aus der Nähe anzuschauen, obwohl sie wusste, dass sie sich nicht einmal im Zimmer aufhalten durfte.
»Stimmt etwas nicht?«
Die Erinnerungen, die auf sie einströmten, wurden von der beunruhigten Frage der jungen Frau unterbrochen. Ella richtete sich rasch wieder auf, bezahlte und ging. Sie
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