Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
archäologischem Interesse ist, beträgt der Fehlerquotient zwar nur achtzehn Monate, doch die Voraussetzung für die Anwendung der Methode ist, dass die Person nach 1943 geboren wurde.«
»Und warum ausgerechnet 1943?« Die Frage kam wieder von dem Mann mit der schusssicheren Weste.
»Weil bei Personen, die vor 1943 geboren wurden, die Weisheitszähne im Jahr 1955 bereits angelegt waren, als die Atomwaffentests dafür sorgten, dass der Anteil des Kohlenstoffisotops 14 C in der Atmosphäre stark anstieg.«
Simon fuhr fort, ehe irgendjemand aus seinem verständnislos dreinblickenden Publikum eine Folgefrage stellen konnte.
»Das radioaktive Kohlenstoffmolekül setzt sich im Zahn fest, während er sich ausbildet, und nimmt gemäß dem Zerfallsgesetz ab, und da der Anteil im Jahr 1955 besonders hoch war, bildet dieses Jahr den Ausgangspunkt, um so exakte Ergebnisse wie möglich zu erhalten.«
Die Männer um die Knochenansammlung auf dem Obduktionstisch herum standen nun alle stumm da und hörten Simons Monolog aufmerksam zu, der sich langsam zu einer Art Vorlesung ausweitete.
»Also«, fuhr Simon fort, »wenn wir die Radiokarbonmethode bei einem Weisheitszahn anwenden, werden wir errechnen können, wann die Person hier auf dem Tisch ungefähr geboren wurde. Aber das gibt uns noch keinen Hinweis darauf, wann sie starb.«
Die Polizisten zeigten erneut eine leichte Resignation. Simon griff vorsichtig nach dem Stück eines Zahnes, den er für einen Weisheitszahn hielt.
»Aber mit der modernen Technik kann man auch Zahnemaille analysieren und somit eine Einschätzung erhalten, wie alt der Mann war, als er starb. Die Radiokarbonmethode kann hier in Schweden durchgeführt werden, aber die andere Analyse muss meines Wissens nach ins Ausland geschickt werden, wahrscheinlich in die USA oder nach Japan. Und das kann dauern. Die Datierungsmethode, die wir in Erwartung der Analysen durchführen wollen, ist übrigens entwickelt worden, um die Radiokarbonmethode zu verfeinern«, fügte er hinzu und zwinkerte dabei Ella zu.
Sie lächelte zurück und verließ den Raum. Sie hatte genug gehört. Sie war bereits ein paar Jahre länger Spezialistin als Simon und hatte manchmal Schwierigkeiten, ihn seine Arbeit machen zu lassen, ohne ihn zu kontrollieren, denn anfangs war sie so etwas wie seine Vorgesetzte gewesen. Optimalerweise oblag diese Art von Coaching den erfahrensten Spezialisten, doch angesichts der Unterbesetzung hatte Ella bereits als frisch examinierte Fachärztin Simon während seiner Zeit als Assistenzarzt anleiten müssen. Der Grund ihres Besuchs im Obduktionssaal war Simon offenbar klar geworden. Sie wollte seine Methoden kontrollieren – doch glücklicherweise schien ihn das nicht zu irritieren.
Ella erinnerte sich besonders an eines von Simons Fotos vom Fundort, auf dem der erdverschmierte Schädel in der ausgehobenen Grube lag. Eine Wurzel hatte sich in den gebrochenen Schädel gebohrt. Sie war durch den dünnen Knochen, der das Dach der Augenhöhle bildete, hinein- und durch die linke Augenhöhle wieder hinausgewachsen. Entsprechende Wurzeln hatten ebenfalls zwischen den Rippen der rechten Körperhälfte herausgelugt. Auch wenn man natürlich nicht exakt wissen konnte, wann die Wurzeln in die verwesende Leiche hineingewachsen waren, so konnte man doch mit einiger Präzision angeben, wie viel Zeit die Wurzeln benötigt hatten, durch sie hindurchzuwachsen. Als man die stabile Wurzel durchgesägt hatte, stellte man nämlich fest, dass sie wie ein Baumstamm ein Ringmuster trug. In derselben Art und Weise, wie der Baumstamm im Winter- beziehungsweise Sommerhalbjahr unterschiedlich schnell wuchs, wuchsen auch die Wurzeln mit einer gewissen Periodizität und erhielten dabei ein Ringmuster, das auf das Alter der jeweiligen Wurzel schließen ließ. Aus diesem Grund konnte Simon mittels einer simplen und billigen dendrochronologischen Datierung ausrechnen, wie lange die Leiche mindestens im Boden gelegen hatte. Die Jahresringe eines Baumstamms wurden für so verlässlich gehalten, dass man sie bereits hinzugezogen hatte, um die im Verlauf der Jahre veränderliche Konzentration des Isotops 14 C in der Atmosphäre zu berechnen und auf diese Weise die Methode zu verfeinern.
Ella nahm an, dass Simon einen Botaniker hinzuziehen würde, um die Berechnungen durchzuführen, wenn er dies nicht schon getan hatte. In vereinzelten Fällen hatte die Rechtsmedizinische Abteilung bereits die Unterstützung eines Entomologen in
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