Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Palm
Vom Netzwerk:
aufhalten konnte, ohne Angst zu verspüren. Simon war außerdem die einzige Person in der Abteilung, die wirklich wusste, was genau geschehen war. Er wusste, dass sich Ellas Angst nicht in erster Linie darauf bezog, was der Mann, den sie untersucht hatte, ihr hätte antun können, sondern was sie selbst bereit gewesen wäre zu tun, um ihn daran zu hindern. Simon hatte ihr wieder und wieder bestätigt, dass ihre Reaktion völlig normal gewesen war und dass alle Menschen unterschiedlich reagierten, wenn sie in die Enge getrieben wurden. Außerdem war keiner ernsthaft verletzt worden. Simon hatte sich außerdem immer wieder anhören müsssen, warum Ella Recht und alle anderen Unrecht hatten, nachdem sie in einen Konflikt mit anderen Rechtsmedizinern und leitenden Angestellten der Behörde geraten war.
    Gewisse Züge in Ellas Persönlichkeit sorgten dafür, dass sie nicht in der Lage war, mit jemandem zu diskutieren, der unzulängliche Argumente benutzte, um seinen Standpunkt zu untermauern. Diese Argumentationsweise war leider nicht ganz ungewöhnlich innerhalb der Behörde, aber um nicht als völlig unmöglich dazustehen, hatte Ella mit der Zeit gelernt, bestimmten Personen gegenüber nicht polemisch zu werden, sondern sie stattdessen lediglich auf ihren Irrtum hinzuweisen und sich daraufhin mit einer für ihre Kollegen undeutbaren Miene zurückzulehnen und die betreffende Person weiter argumentieren zu lassen. Manche Leute deuteten ihre Miene als arrogant, andere als genervt. Doch eigentlich war ihr Gesichtsausdruck nur das Ergebnis eines inneren Kampfes zwischen dem Teil von ihr, der sich für ihre Sache einsetzen wollte, und dem, der wusste, dass es keinen Sinn machte. Ella hatte sich während ihrer gesamten Kindheit unterdrückt gefühlt und ihre Meinung nicht offen sagen dürfen. Aber anstatt daraufhin als Erwachsene konfliktscheu zu werden, hatte Ella sich zum Gegenteil hin entwickelt. Wenn sie sich im Recht fühlte, hielt sie sich mit ihren Ansichten nur selten zurück. Die junge Eleonor Liedenburg-Rossing war nämlich nur oberflächlich betrachtet eingeschüchtert gewesen, innerlich hatte sie hingegen immer mehr Stärke entwickelt. Sobald sie mündig wurde, war aus Eleonor Ella geworden, und zugleich hatte sie die geleckte wohlerzogene Fassade abgeworfen und sich gelobt, sie nie wieder anzunehmen.
    Ella sah an der Art, wie Simon an seinem heißen Kaffee nippte, dass er aufgekratzt war. Sie stellte fest, wie gut sie einander kannten.
    Sie hörte ihm zu, während Simon ihr von einer Frau erzählte, mit der er sich zu treffen begonnen hatte. Es war lange her, dass er so engagiert über eine Person gesprochen hatte. Für gewöhnlich schien es sich bei ihm mehr oder weniger um Eroberungen zu handeln, aber in diesem Fall war es ihm wichtig zu unterstreichen, dass sie bislang nur Freunde waren. Man merkte allerdings deutlich, dass er sich auch mehr vorstellen konnte. Allein die Tatsache, dass er die Frau Ella gegenüber erwähnte, war ein gutes Zeichen. Sie hatte ihn in der Stadt schon oft mit diversen Frauen gesehen, doch nur selten mehr als einmal mit derselben. Alle waren bildhübsch gewesen, und Ella tippte darauf, dass das auch auf diese zutraf.
    Wie immer konnte Ella nicht gerade viel zum Gespräch beitragen, aber sie hörte ihm zu und nickte aufmunternd, als Simon ihr seine Strategien darlegte, wie er die Gunst dieser Frau gewinnen wollte. Als er fragte, ob Ella meinte, dass es noch zu früh war, um ihr ein kleines Geschenk zu machen, vielleicht ein Schmuckstück, fiel Ella die kleine Kugel in ihrem Bücherregal wieder ein. Sie stand augenblicklich auf.
    Simon sah sie mit großen Augen an.
    »Noch viel zu früh für Schmuck«, sagte sie mit Nachdruck und entschuldigte sich.
    Simon blieb allein zurück und schaute seiner Kollegin nach. Das mit dem Schmuck war offenbar ein sensibles Thema, dachte er.
    Ella zog vorsichtig das Anatomiebuch aus dem Regal. Dahinter stand der Glaszylinder. Auf seinem Boden lag eine goldglänzende Perle. Sie war mit einem großen Loch versehen, durch das man eine Schnur ziehen konnte; eine Kinderperle. Mit einem Teelöffel fischte sie sie aus der Lösung, die einen scharfen Geruch in ihrem Zimmer verbreitete, und wischte sie an ihrem Pulli ab. Die kleine Kupferperle sah aus wie neu – sie war glänzend rein. Sie schloss ihre Hand um sie und machte die Augen zu. Die Erinnerungen aus ihrer Kindheit holten sie erneut ein. Sie war fein angezogen, und ihre Mutter und sie wollten gerade das

Weitere Kostenlose Bücher