Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
einem größeren Abendessen bei Markus’ ehemaligem Chef mit dem Gastgeber in eine Diskussion über die Aufgabenbereiche der Frauen verwickeln lassen. Er war der Meinung, dass Frauen vorzugsweise zu Hause bei den Kindern bleiben und sich um den Haushalt kümmern sollten. Eine Meinung, von der Ella ahnte, dass viele Männer im Raum sie teilten, aber den Anstand besaßen, sie für sich zu behalten. Markus’ Chef hatte gelacht, und zu Ellas Erstaunen hatten die anderen Frauen am Tisch eingestimmt. Vielleicht wäre es leichter gewesen, wie die anderen Frauen zu reagieren, doch Ella konnte die Wut, die in ihr hochkochte, nicht zurückhalten, woraufhin sie den Mann an seiner empfindlichsten Stelle attackierte: seiner Ausbildung. Sie wusste, dass er sein gesamtes Medizinstudium in Ungarn absolviert hatte, aber niemals darüber sprach.
Ella hatte sich Markus zugewandt und sich bei ihm dafür entschuldigt, dass sie ihm weder Kinder geboren hatte noch sich um den Haushalt kümmerte. Markus hatte ausgesehen, als wäre er am liebsten im Boden versunken. Und es wurde auch nicht gerade besser, als Ella kurz darauf ihre Aufmerksamkeit auf den Gastgeber richtete. Er hatte sie mit einem dümmlichen Lächeln bedacht, das sich jedoch rasch verflüchtigte, als Ella zum Punkt kam.
»Natürlich ist es ungerecht, wenn Frauen weiter an der Universität studieren und dort rücksichtslos den Männern die Studienplätze wegnehmen, die Ärzte werden wollen, aber leider nicht die entsprechenden Noten vorweisen können, um aufgenommen zu werden.«
Dann hatte Ella den Kopf geschüttelt, sich bei der Gastgeberin fürs Essen bedankt und sich entschuldigt. Sie hatte Markus nie ganz verziehen, dass er sitzen geblieben war, als sie aufstand, um zu gehen. Stattdessen war er wütend auf sie gewesen, als er später am Abend nach Hause kam. Er behauptete, dass sie mit ihrem Ausbruch beinahe seine Karriere an der Klinik zunichtegemacht und sie beide nur lächerlich gemacht hätte. Erst viel später sah Ella ein, dass sie vielleicht etwas überreagiert hatte.
Die Situationen, in denen sie die Kontrolle verlor, wurden mit der Zeit immer seltener, und inzwischen war weitaus mehr nötig, um sie zu provozieren. Aber Kindesmisshandlung zählte durchaus dazu.
»Gehen Sie zu einem Arzt und lassen Sie den Ellenbogen des Jungen untersuchen.«
Ihr Ton war eiskalt.
»Die Ellenbogengelenke von Kindern sind nicht dafür geschaffen, ihr eigenes Körpergewicht zu tragen. Sie können ja jederzeit behaupten, dass es ein Unfall war«, fügte sie hinzu.
Ihre Stimme troff regelrecht vor Sarkasmus. Die Mutter brachte kein Wort heraus und saß lediglich mit gesenktem Kopf da, während ihre Freundinnen einander fragend anschauten.
Ella drehte sich um und steuerte ungerührt auf einen freien Tisch zu. Die kleine Gruppe von Müttern sammelte ihre Sachen zusammen und verließ das Café.
»Doktor Andersson, I presume.«
Ella erkannte die kraftvolle Stimme unmittelbar wieder. Mikael Erlandsson war ein hochgewachsener Mann mit groben Gesichtszügen. Wenn seine Augen nicht so freundlich dreingeblickt hätten, wäre er eine Angst einflößende Erscheinung gewesen. Ella machte Anstalten aufzustehen, blieb dann aber sitzen. Sie würde ihm vermutlich gerade mal bis zum Brustkorb reichen, und sie wusste nicht, wofür sie ihre Autorität während des Gesprächs noch benötigen würde; eine Autorität, die besser wirkte, wenn man ihre Körpergröße nicht sah. Stattdessen streckte sie ihre Hand vor, die von einer großen, aber sehr gepflegten Männerhand ergriffen wurde. Der kräftigen Stimme nach zu urteilen hätte sie eine schmutzige, schwielige Hand erwartet.
»Sie können mich Ella nennen.«
Er bestellte Kaffee für sie beide und setzte sich ihr gegenüber. Die kleine Cappuccinotasse wirkte in seinen großen Händen geradezu lächerlich.
»Was möchte die Ärztin wissen?« Er lächelte und wirkte nahezu erwartungsvoll.
»Ich muss vorausschicken, dass mein Interesse an diesem Fall höchst privat ist. Ich bin nicht die für den Fall zuständige Rechtsmedizinerin und besitze aus diesem Grund auch nicht alle Informationen.«
Erlandsson richtete sich ein wenig auf, während sich auf seiner für sein Alter relativ glatten Stirn eine nachdenkliche Falte bildete.
»Wie kann die Leiche, die ich im Garten meines Vaters gefunden habe, von privatem Interesse für Sie sein?«
Er wirkte aufrichtig erstaunt. Ella holte einen farbigen Ausdruck des Fotos von der Tischuhr hervor, das das
Weitere Kostenlose Bücher