Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Haus verlassen. Sie trug eine Perlenkette mit einem kleinen Goldherz um den Hals und schwarze Lackschuhe. Sie waren spät dran und hatten es eilig. Judit musterte ihre Tochter vom Scheitel bis zur Sohle und schüttelte dann den Kopf. Um den Hals trug sie nicht nur eine Perlenkette, sondern zusätzlich noch die eigenhändig angefertigte Kette mit golden glänzenden Kupferperlen. Ella bemühte sich nicht einmal, ihre Mutter zu überreden, den Schmuck tragen zu dürfen, sondern trottete zurück in ihr Zimmer und hängte die Kette an den kleinen Spiegel auf ihrem Schreibtisch. Sie strich mit der Hand darüber. Dann hupte ein Auto, und Judit rief nach ihr. Als sie auf die Einfahrt hinaustraten, stieg ein Mann aus dem schwarzen Auto, das auf sie wartete. Judit nahm ihre Taschen und stellte sie auf den Beifahrersitz. Ella beobachtete ihre blasse Mutter. Nachdem der Fahrer wieder eingestiegen war, warf er einen Blick in den Rückspiegel und öffnete den Mund. »Mein Fräulein.«
Ella öffnete die Augen wieder und starrte vor sich hin. Was war das für eine Perle, die da in ihrer Hand lag? Sie redete sich ein, dass es sich unmöglich um eine von der Kette handeln konnte, die sie als Kind besessen hatte. Warum sollten ausgerechnet ihre Perlen neben einer Leiche im Garten eines fremden Mannes begraben liegen? Immer mehr Fragen, die sie sich nicht einmal laut zu stellen traute, drangen an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Sie schob sie beiseite und setzte sich. Die Fragen gründeten auf haltlosen und übereilten Annahmen. Gewiss existierten noch andere Kupferperlen außer jenen, mit denen sie ihre Kette aufgefädelt hatte, dachte sie. Gleichwohl sah sie ein, dass Kupfer nicht unbedingt das gewöhnlichste Material für Kinderperlen darstellte. Die Gedanken kehrten immer wieder. Und wenn es nun doch die Perlen ihrer Kette waren, die sie gefunden hatte, fragte sie sich beharrlich weiter, wie sollten sie ausgerechnet in Mikael Erlandssons Garten gekommen sein?
Sie betrachtete die Perle, seufzte und ließ sie schließlich in die Innentasche ihres Mantels gleiten. Es war immer noch zu früh am Tag, um Mikael Erlandsson anzurufen, also unternahm sie einen tapferen Versuch, weitere Fälle von ihren Stapeln abzuarbeiten. Doch die Perle ließ sie irgendwie nicht los. Als sie feststellte, dass sie gerade dabei war, zwei Fälle durcheinanderzubringen, an denen sie parallel arbeitete, gab sie auf.
Mikael. Seine Stimme war kraftvoll, aber irgendetwas daran verriet ihr, dass er noch nicht aufgestanden war.
Ella stellte sich mit Namen und Titel vor und entschuldigte sich, dass sie so früh bei ihm anrief. Die meisten Menschen wurden nervös, wenn ein Rechtsmediziner bei ihnen anrief, um ihnen irgendwelche Fragen zu stellen, doch Mikael Erlandsson schien eher neugierig zu sein. Er bot ihr sogar an, in ihr Büro zu kommen, doch Ella lehnte ab. Sie wollte ihre Fragen ungern am Telefon stellen, aber auch nicht riskieren, dass sich einer ihrer Kollegen fragte, wer dieser Mann war. Deshalb verabredeten sie sich noch für denselben Tag in der Stadt.
Mit der Aussicht darauf, sich bald mit einer Person zu treffen, die möglicherweise Antworten auf ihre Fragen parat hatte, konnte sie sich besser auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie arbeitete einige Verkehrsunfälle und Selbstmorde ab. Zuoberst auf ihrem Stapel lag nun John Westmark. Sie erinnerte sich an die beiden Anrufe in der Notrufzentrale, ihren Einfall nach dem Gespräch mit dem Kriminaltechniker, die Fotos auf der Internetseite und die Totenflecke, die nicht mit der Lage der Leiche übereinstimmten. Sie beschloss, dass es höchste Zeit war, die Mutter des Toten etwas in die Zange zu nehmen. Sie griff nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer des Kriminaltechnikers.
»Jonny Duda.« Er klang, als sei er irgendwo draußen, denn im Hintergrund hörte sie Verkehrsgeräusche.
»Ella Andersson aus der Rechtsmedizin.« Sie sprach laut, um die Hintergrundgeräusche zu übertönen.
»Womit kann ich Frau Doktor denn heute helfen?«, fragte er freundlich, bevor Ella ihr Anliegen erklärte.
Direkt nach der Mittagspause sollte Ella per Telefon an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen. Sie war froh, dass es ihr gelungen war, den Staatsanwalt zu überreden, nicht persönlich im Gericht erscheinen zu müssen, da es mehrere Autostunden entfernt lag. Es hätte sie einen gesamten Arbeitstag gekostet, ein paar Fragen zu beantworten, die man ihr ebenso gut am Telefon stellen konnte. Doch wie so oft begann
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