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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Brunnenrand hinunterspähte. In einer Zeitlupenbewegung nahm er das Gewehr in beide Hände. Der rechte Zeigefinger berührte den Abzug, krümmte sich, und der Kolben wanderte ganz allmählich nach oben. Die linke Hand lag ruhig am Lauf. Ein Verlobungsring blitzte in der Sonne auf. Alles ging langsam vor sich. So langsam. Nur - wartet einen Augenblick am Telefon.
    So also, dachte Garraty.
    So ist es also. Das Sterben.
    Der rechte Daumen des Soldaten drückte mit zäher Langsamkeit den Spannhahn hinunter. Hinter ihm standen drei dürre Frauengestalten, drei verrückte Schwestern - wartet noch einen Augenblick am Telefon. Bleibt nur noch eine Minute dran, ich habe noch schnell etwas zu erledigen, ich muß noch kurz sterben. Sonne, Schatten, blauer Himmel. Wolken, die über den Highway rasen. Von Stebbins war nur noch der Rücken zu sehen. Nur das blaue Flanellhemd mit einem Schweißflecken zwischen den Schulterblättern. Wiedersehen, Stebbins.
    Geräusche hämmerten auf ihn ein. Er hatte keine Ahnung, ob sie nur Einbildung waren oder ob er überempfindlich geworden war. Oder aber es war der Tod, der seine Hand nach ihm ausstreckte. Der Spannhahn knackte wie ein zerbrechender Zweig. Die Luft, die er durch die Zähne einsog, rauschte wie in einem Windkanal. Sein Herzschlag war ein Trommelwirbel. Ein hohes Summen tönte in seinem Kopf, nicht in den Ohren, sondern zwischen ihnen. Es stieg höher und höher, und plötzlich war er sicher, daß er seine Gehirnströme hören konnte - Er rappelte sich hoch und kam mit einem steifen, schmerzenden Sprung auf die Beine. Schreiend. Er warf sich in einen schnellen, gleitenden Trott, und seine Füße fühlten sich an, als seien sie aus Federn gemacht. Der Zeigefinger des Soldaten krümmte sich fester um den Abzug und der Knöchel wurde weiß. Der Soldat blickte auf den kleinen Computer an seinem Handgelenk, der mit einem kleinen, ausgeklügelten Radarsystem ausgestattet war. Garraty hatte darüber einmal einen Artikel im Populär Mechanic gelesen. Sie konnten darauf die Geschwindigkeit je-des einzelnen Gehers bis auf vier Stellen hinter dem Komma exakt ablesen.
    Der Zeigefinger des Soldaten lockerte sich wieder.
    Garraty hörte auf zu rennen und marschierte mit schnellen Schritten weiter. Sein Mund war knochentrocken, und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Unregelmäßige, weiße Blitze zuckten vor seinen Augen, und einen schwachen Moment lang war er sicher, daß er gleich ohnmächtig würde. Es ging vorüber. Seine Füße waren wütend, daß er ihnen die wohlverdiente Ruhe verweigerte, und schrien ihren Protest heraus. Er biß die Zähne zusammen und ertrug die Schmerzen. Der Wadenmuskel seines linken Beines zuckte immer noch besorgniserregend, doch er mußte nicht humpeln. Bis jetzt noch nicht.
    Er blickte auf die Uhr. Siebzehn Minuten nach zwei. In der folgenden Stunde würden ihn nur zwei Sekunden vom Tod trennen.
    »Na, wieder unter den Lebenden?« begrüßte Stebbins ihn, als er ihn einholte.
    »Klar«, antwortete er kurz und spürte plötzlich eine heftige Abneigung. Sie wären auch weitergelaufen, wenn der Soldat ihn erschossen hätte. Sie hätten keine Träne um ihn vergossen. Er war nur ein Name und eine Nummer, die in den offiziellen Bericht eingetragen wurden: GARRATY, RAYMOND, NR. 47, NACH 218 MEILEN ELIMINIERT. Und Stoff für eine rührselige Geschichte, die ein paar Tage lang die staatlichen Zeitungen beschäftigte: GARRATY TOT, »MAINES STOLZ« WURDE DAS 61ste OPFER.
    »Ich hoffe, daß ich gewinne!« sagte er mürrisch.
    »Glaubst du, du schaffst es?«
    Garraty dachte an das Gesicht des blonden Soldaten. Es hatte ungefähr soviel Gefühl wie ein Teller Kartoffeln ausgestrahlt.
    »Ich bezweifle es«, antwortete er. »Ich habe jetzt schon drei Warnungen gegen mich laufen. Das heißt, daß man draußen ist, nicht wahr?«
    »Sieht übel für dich aus«, sagte Stebbins und blickte wieder auf seine Füße hinunter.
    Garraty ließ ihn allein. Der Zwei-Sekunden-Spielraum kg ihm schwer auf der Seele. Jetzt würde es keine Warnung mehr geben. Es war nicht einmal Zeit genug, daß jemand ihm sagen konnte: »Beeile dich lieber ein bißchen, Garraty, sonst bist du dran.«
    Er holte McVries ein, der sich nach ihm umdrehte. »Ich dachte schon, du wärst draußen, Junge.«
    »Ich auch.«
    »So nahe?«
    »Um die zwei Sekunden, glaube ich.«
    McVries stieß einen leisen Pfiff aus. »Im Augenblick würde ich nicht gern in deiner Haut stecken; Wie gehf s dem Bein?«
    »Besser. Hör mal,

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