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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Luft der ersten Apriltage wieder.
    »Ich konnte keinen Rückzieher machen. Es wußten zu viele Leute davon, die das Geschehen mitverfolgten. Ich glaube, das geht fast jedem so. Auf diese Art kriegen sie ihre Wetten zustande. Ich ließ den 15. April, das erste Absagedatum, verstreichen, und am nächsten Abend veranstalteten sie als Anerkennung ein großes Dinner für mich im Rathaus. Alle meine Freunde waren da, und nach dem Nachtisch fingen sie alle an zu brüllen: Eine Rede! Eine Rede! Also bin ich aufgestanden, habe auf meine Hände heruntergeschaut und ihnen vorgemurmelt, daß ich mein Bestes geben würde, wenn man mich aufnehmen würde, und alle haben applaudiert wie verrückt. Es war, als hätte ich ihnen die ganze, verdammte Gettysburgrede gehalten, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ja, das kenne ich«, sagte McVries und lachte, aber seine Augen blickten düster.
    Hinter ihnen donnerten plötzlich die Gewehre los. Garraty zuckte vor Schreck zusammen und wäre beinahe steif vor Angst stehengeblieben, doch er schaffte es weiterzugehen. Diesmal war es blinder Instinkt, dachte er. Und was passiert das nächste Mal?
    »Hurensöhne«, sagte McVries leise. »Das war Joe.«
    »Wie spät ist es?« fragte Garraty wieder, doch bevor McVries antworten konnte, fiel ihm ein, daß er ja selbst eine Uhr hatte. Es war 2.38 Uhr. Himmel! Der Zwei-SekundenSpielraum lag ihm wie ein eisernes Joch auf den Schultern.
    »Hat niemand versucht, es dir auszureden?« fragte McVries weiter. Sie liefen jetzt ein großes Stück vor der Hauptgruppe, bestimmt mehr als hundert Meter vor Harold Quince. Ein Soldat war abgeordnet worden, um sie zu überwachen. Garraty war froh, daß es nicht der blonde Kerl mit dem hübschen Gesicht war. »Hat niemand versucht, dich zu überreden, wenigstens den 31. April als letzten Absagetermin in Anspruch zu nehmen?«
    »Zuerst nicht. Meine Mutter und Jan und Dr. Patterson -der spezielle Freund meiner Mutter, weißt du, er geht schon mindestens fünf Jahre mit ihr - haben es zu Anfang etwas heruntergespielt. Sie waren geschmeichelt und stolz auf mich, weil die meisten Jungen über zwölf in diesem Land die Tests mitmachen, aber nur einer von fünfzig durchkommt. Aber dann sind es immer noch Tausende von Jungen, und sie brauchen bloß zweihundert - hundert für den Marsch und hundert für die Nachrückliste. Man braucht keine besonderen Fähigkeiten, um ausgewählt zu werden, das weißt du.«
    »Ja, ich weiß. Sie ziehen die Namen wie Lose aus dieser beschissenen Trommel. Großes Fernsehspektakel.« McVries' Stimme krächzte ein bißchen.
    »Genau. Der Major zieht zweihundert Namen, aber das ist auch alles, was sie bekanntgeben. Du weißt nicht, ob du ein Geher bist oder nur auf die Warteliste kommst.«
    »Und du wirst auch bis zum letzten Absagetag nicht benachrichtigt«, bestätigte McVries mit einer Miene, als ob dieser letzte Absagetag schon Jahre und nicht bloß vier Tage her wäre. »Ja, ja, sie lassen sich nicht gern in die Karten gucken.«
    Jemand aus der Zuschauermenge hatte einen Strauß Luftballons steigen lassen, die sich in einem roten, blauen, grünen und gelben Farbbogen am Himmel verteilten. Der beständige Südwind trieb sie leicht und locker vor sich her.
    »Das stimmt wohl«, sagte Garraty. »Wir saßen vor dem Fernseher, als der Major die Namen gezogen hat. Ich war die Nummer dreiundsiebzig aus der Trommel. Ich bin glatt vom Stuhl gefallen, weil ich es einfach nicht glauben konnte.«
    »Nein, nein, es kann nicht sein, daß gerade du es bist«, stimmte McVries zu. »So was passiert immer nur den anderen.«
    »Genau das ist das Gefühl. Und da fingen sie alle an, auf mich einzureden. Es war gar nicht mehr so wie beim ersten Absagetermin mit dem großen Festessen und den Reden und dem Himmel voller Geigen. Jan...«
    Er unterbrach sich. Aber, warum nicht? Er hatte ja auch sonst alles erzählt. Und es war schließlich egal. Entweder er oder McVries würden längst tot sein, wenn das hier vorbei war. Wahrscheinlich Sogar beide. »Jan hat mir gesagt, daß sie jederzeit überallhin mit mir gehen würde, wann immer ich es wollte, wenn ich nur die letzte Gelegenheit am 31. April ergreifen und absagen würde. Ich hab' ihr geantwortet, daß ich mich dann wie ein Feigling, wie ein Drückeberger fühlen würde, und da ist sie sauer geworden und hat gemeint, das sei immer noch besser, als zu sterben. Und dann hat sie geweint und mich angefleht.« Garraty blickte zu McVries hoch. »Ich weiß auch nicht,

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