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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ich kann jetzt nicht reden. Ich werde für eine Weile nach vorn gehen.«
    »Harkness hat das nicht viel geholfen.«
    Garraty schüttelte den Kopf. »Ich muß sichergehen, daß ich das Tempo anführe.«
    »In Ordnung. Möchtest du Gesellschaft?«
    »Wenn du genug Kraft dafür hast.«
    McVries lachte. »Ich habe die Zeit, wenn du das Geld hast. Schätzchen.«
    »Dann komm. Beeilen wir uns, solange ich noch Luft genug habe.«
    Garraty zog das Tempo an, bis seine Beine rebellierten, McVries und er kamen schnell durch die Hauptgruppe. Zwischen dem Jungen, der als zweiter lief - ein schlaksiger, böse blickender Kerl namens Harold Quince - und dem Überlebenden der beiden Lederjackenjungen, Joe, befand sich ein großer Zwischenraum. Joes Gesicht war wirklich unglaublich braun, als sie ihn aus der Nähe sahen. Er hielt die Augen starr auf den Horizont gerichtet, und seine Züge waren völlig ausdruckslos. Die vielen Reißverschlüsse an seiner Lederjacke klimperten wie eine leise, aus weiter Ferne klingende Musik.
    »Hallo, Joe«, sagte McVries, und Garraty hatte plötzlich eine hysterische Lust »Wie geht's dir so?« hinzuzufügen.
    »Hallo«, sagte Joe kurzangebunden.
    Sie liefen an ihm vorbei, und danach gehörte die Straße ihnen. Ein breites, zweispuriges Asphaltband voll ölflek-ken, das von dem Grasstreifen in der Mitte unterbrochen und an beiden Seiten von einer Menschenmauer eingerahmt wurde.
    »Vorwärts, immer vorwärts«, rief McVries. »Christliche Soldaten ziehen in den Krieg. Schon mal davon gehört, Ray?«
    »Wie spät ist es?«
    McVries sah auf seine Uhr. »Zwanzig nach zwei. Hör mal, Ray, wenn du die ganze Zeit -«
    »Gott, ist das alles? Ich dachte -« Angst schnürte ihm die Kehle zu; ein dicker, schmieriger Kloß saß in seinem Hals. Er würde es nicht schaffen. Der Spielraum war einfach zu knapp.
    »Hör mal, wenn du immer nur an die Zeit denken willst, dann drehst du bald durch und rennst in die Menge, und dann erschießen sie dich wie einen Hund. Sie erschießen dich, während dir die Zunge aus dem Hals hängt und die Spucke am Kinn herunterläuft. Versuch doch, es einfach zu vergessen.«
    »Ich kann nicht.« Angst und Wut stauten sich in ihm auf, und er fühlte sich schwach und krank. »Olson... Scramm... Sie sind gestorben. Davidson ist gestorben. Und ich kann auch sterben, Pete, das weiß ich jetzt. Es sitzt mir wie ein Pesthauch im Nacken!«
    »Denk an dein Mädchen, Jan, oder wie heißt sie? Oder an deine Mutter oder deine verdammte Spielkatze. Oder denk an gar nichts. Heb einfach die Füße hoch und setz sie wieder auf die Straße. Konzentriere dich ganz aufs Gehen.«
    Garraty kämpfte um seine Selbstbeherrschung und hatte auch ein bißchen Erfolg damit, aber alles in allem blieb er völlig aufgelöst. Seine Füße gehorchten den Befehlen, die sein Kopf ihnen erteilte, nicht mehr widerspruchslos, sie schienen alt und klapprig, und der Schmerz flackerte in ihnen wie eine kaputte Glühbirne.
    »Der lebt nicht mehr lange!« sagte eine Frau aus der ersten Reihe ziemlich deutlich.
    »Deine Titten leben auch nicht mehr lange!« schnauzte er sie an, und die Menge applaudierte.
    »Die sind wahnsinnig«, murmelte er. »Total neurotisch. Pervers. Wie spät ist es?«
    »Was hast du als erstes gemacht, als du deinen Bestätigungsbrief empfangen hast?« fragte McVries geduldig. »Was hast du gemacht, als du gewußt hast, daß du dabei bist?«
    Garraty runzelte die Augenbrauen, wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn und ließ seine Gedanken endlich einmal von der fürchterlichen Vorstellung seines blitzartigen Endes abschweifen.
    »Ich war allein zu Hause«, erzählte er. »Meine Mutter ist berufstätig. Es war an einem Freitagnachmittag. Ich fand den Brief im Kasten. Er hatte einen Stempel aus Wilmington, Delaware, so wußte ich sofort, daß er es sein mußte. Aber ich war mir eigentlich sicher, daß ich entweder die medizinische Untersuchung oder den Intelligenztest verhauen hatte. Oder beide. Ich mußte ihn zweimal lesen. Ich hatte keinen Freudenausbruch oder so was, aber ich fühlte mich geschmeichelt. Ich war sehr zufrieden damit. Und zuversichtlich. Meine Füße haben damals nicht weh getan, und mein Rük-ken hat sich noch nicht so angefühlt, als ob jemand ihn mit einer Harke bearbeitet hätte. Ich war ein Auserwählter unter Millionen. Damals wußte ich noch nicht, daß die dicke Dame im Zirkus nichts anderes ist.«
    Er schwieg einen Augenblick und atmete tief ein, als rieche er die frische

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