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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Androscoggin überquerten. Unter ihnen wälzte der Fluß sich träge und von einer käsegelben Schaumkrone bedeckt dahin.
    »Und?«
    »Spar dir den Atem«, sagte Garraty. »Du wirst ihn gleich brauchen.«
    Sie hatten das Ende der Brücke erreicht, und die Menge war wieder bei ihnen. Die Straße führte in eine Linkskurve, und dann begann der Anstieg auf den Brickyard Hill. Er war lang, steil und mit einer Böschung versehen. Das Flußtal lag zu ihrer Linken, und auf der rechten Seite befand sich ein fast senkrechter Abhang. Die' Zuschauer klammerten sich an Bäume, Büsche und aneinander und riefen Garratys Namen. Er war mal mit einem Mädchen ausgegangen, das aus Brickyard Hill stammte. Carolyn hatte sie geheißen, war jetzt verheiratet und hatte ein Kind. Sie hätte ihn wohl rangelassen, aber er war zu jung und zu dumm dafür gewesen.
    Weiter vorn stieß Parker keuchend einen geflüsterten Fluch aus, der kaum über die Menge hinweg zu hören war. Garratys Beine zitterten und drohten, wieder weich zu werden, aber das war der letzte Berg vor Freeport. Was danach kam, war egal. Wenn er zur Hölle fuhr, dann fuhr er eben zur Hölle. Endlich kamen sie oben an - Carolyn hatte hübsche Brüste, sie trug öfters Kaschmirpullover-, und Stebbins wiederholte nur ein bißchen keuchend: »Und?«
    Schüsse knallten, und ein Junge namens Charlie Field verabschiedete sich mit einer unfreiwilligen Verbeugung.
    »Nichts«, antwortete Garraty. »Ich war auf der Suche nach Baker und habe statt dessen dich gefunden. McVries glaubt, daß du gewinnen wirst.«
    »McVries ist ein Idiot«, sagte Stebbins gelassen. »Glaubst du wirklich, daß du dein Mädchen sehen wirst, Garraty? Bei all diesen Leuten?«
    »Sie wird ganz vorn stehen«, antwortete er. »Sie hat einen Passierschein.«
    »Die Bullen werden viel zu beschäftigt sein, um all die Leute für sie zurückzuhalten, damit sie nach vorn kommen kann.«
    »Das ist nicht wahr«, fuhr Garraty ihn an. Er wurde heftig, weil Stebbins seine geheimsten Ängste ausgedrückt hatte. »Was hast du davon, mir so etwas zu sagen?«
    »Im Grunde willst du doch bloß deine Mutter sehen!«
    »Was?« fragte Garraty scharf.
    »Willst du sie nicht heiraten, wenn du mal groß bist, Garraty? Die meisten kleinen Jungen wollen das.«
    »Du bist ja verrückt!«
    »Bin ich das?«
    »Ja!«
    »Warum glaubst du eigentlich, du hättest es verdient zu gewinnen, Garraty? Du bist ein zweitklassiger Intellektueller, ein zweitklassiger Athlet und ein zweitklassiger Liebhaber. Ich verwette meinen Hund dafür, daß du noch nie mit deinem Mädchen gefickt hast.«
    »Halt deine dreckige Klappe!«
    »Du hast noch nie mit einer Frau geschlafen, nicht wahr? Vielleicht bist du sogar ein bißchen schwul? Ein Hauch von Lavendel? Hab keine Angst, mit Papa Stebbins kannst du über alles reden.«
    »Ich werde dich besiegen, und wenn ich dafür bis nach Virginia gehen muß, du gemeiner Dreckskerl!« Garraty zitterte vor Wut. Er konnte sich nicht erinnern, schon je im Leben so wütend gewesen zu sein.
    »Schon in Ordnung«, sagte Stebbins besänftigend. »Hab' schon verstanden.«
    »Du - du Mutterficker, du!«
    »Da haben wir ein interessantes Wort. Wie bist du auf dieses Wort gekommen?«
    Einen Augenblick glaubte Garraty, er müßte sich jetzt auf Stebbins werfen oder auf der Stelle vor Wut in Ohnmacht fallen. Aber er tat nichts dergleichen. »Und wenn ich bis nach Virginia gehen muß!« wiederholte er. »Und wenn ich bis nach Virginia gehen muß!«
    Stebbins reckte sich auf seine Zehenspitzen und lächelte schläfrig. »Ich habe das Gefühl, ich kann ganz bis nach Florida gehen, Garraty.« Garraty rannte von ihm weg, um Baker zu suchen. Die Wut sank allmählich, und er spürte tiefe, pochende Scham. Er nahm an, daß Stebbins ihn jetzt für einen Hitzkopf hielt - was er wohl auch war. Baker ging neben einem Jungen, den er nicht kannte. Er hielt den Kopf gesenkt, und seine Lippen bewegten sich.
    »Hallo, Baker«, sagte Garraty. Baker fuhr zusammen und schüttelte sich dann wie ein Hund.
    »Garraty«, sagte er. »Du bist es.«
    »Ja, ich bin's.«
    »Ich hatte gerade einen Traum - einen schrecklich realen Traum. Wie spät ist es?«
    Garraty sah auf die Uhr. »Gleich zehn vor sieben.«
    »Was glaubst du, wird es den ganzen Tag regnen?«
    »Ich... ah!« Garraty machte einen Satz nach vorn und verlor für einen Augenblick das Gleichgewicht. »Mein verdammter Absatz ist abgegangen!« rief er.
    »Zieh lieber beide Schuhe aus«, riet Baker ihm.

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