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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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würde ich verrückt werden. Bitte, lieber Gott, bitte.
    Wenige Minuten später krachten die tödlichen Schüsse durch die Nacht. Diesmal war es ein kleiner Junge in einem weiten, rotweißen Footballhemd. Garraty glaubte für einen Augenblick, daß Percys Mutter sich ab jetzt keine Sorgen mehr zu machen brauchte, aber es war nicht Percy, sondern der Junge hieß Quentin oder Quincy oder so ähnlich.
    Garraty wurde nicht verrückt, aber er drehte sich um, um ein paar zornige Worte an Stebbins loszuwerden. Er wollte -ihn fragen, wie man sich dabei fühle, wenn man die letzten Minuten eines Menschen durch solche Horrorgeschichten verdorben hätte. Doch Stebbins hatte sich schon wieder auf seine alte Position zurückfallen lassen, und Garraty war allein.
    Sie gingen weiter, die neunzig, die übriggeblieben waren.

    Um zwanzig Minuten vor zehn an diesem nicht endenwollenden ersten Mai hatte Garraty eine von seinen zwei Verwarnungen abgelaufen. Seit dem Jungen in dem Footballhemd waren noch zwei weitere erschossen worden, aber er hatte es kaum wahrgenommen. Er war damit beschäftigt, eine gründliche Inventur an sich selbst durchzuführen.
    ,Ein Kopf, ein bißchen verwirrt und aufgekratzt, aber grundsätzlich in Ordnung. Zwei Augen, rauh und sandig. Ein Hals, ziemlich steif. Zwei Arme, keine Probleme damit. Ein Oberkörper, abgesehen von einem nagenden Hungergefühl in den Eingeweiden, das auch die Nahrungskonzentrate nicht befriedigen konnten, ganz in Ordnung. Zwei verdammt müde Beine. Schmerzen in den Muskeln. Er fragte sich, wie lange diese Beine ihn noch von allein weitertragen würden -wie lange noch, bis das Gehirn die Herrschaft übernehmen und sie weit über die gesunde Leistungsgrenze hinaus vorwärtstreiben würde, damit keine Kugel in seinen Körper eindringen konnte? Wie lange noch, bis seine Beine protestierten, zu stolpern und zu zucken anfingen, sich schließlich versteiften und ganz zu laufen aufhörten? Ja, seine Beine waren müde, aber soweit er es im Augenblick beurteilen konnte, noch ganz gut zu gebrauchen.
    Und zwei Füße. Schmerzende Füße. Es hatte keinen Zweck, es zu leugnen: seine Füße waren wund. Er war ein kräftiger Junge. Seine Füße mußten immerhin hundertsechzig Pfund über die Straße schleppen. Die Sohlen schmerzten. Ab und zu durchzuckten sie seltsame, schmerzhafte Stiche. Sein linker großer Zeh hatte sich durch die Socke gebohrt und rieb sich unangenehm am Oberleder. Er mußte an Stebbins' Horrorgeschichte denken und ihn befiel ein schleichendes Entsetzen. Aber seine Füße funktionierten noch. Sie hatten keine Blase, und er fand, daß sie alles in allem noch ganz gut in Schuß waren.
    Garraty, sagte er, um sich selbst aufzubauen, du bist in einer prima Verfassung. Zwölf Teilnehmer sind inzwischen tot, und gut doppelt so viele haben inzwischen schlimme Schmerzen auszustehen, aber dir gehf s einigermaßen gut. Du liegst gut im Rennen, du bist großartig, du lebst.
    Die Unterhaltung, die durch Stebbins' Geschichte abrupt abgebrochen worden war, setzte allmählich wieder ein. Reden war nun einmal das, was lebende Menschen miteinander taten. Yannick, Nummer 98, hechelte mit seinem Nachbarn Wyman, Nummer 97, die Abstammungsfolge der Soldaten auf dem Panzerwagen durch. Sie gaben sich keine Mühe, leise zu sprechen, und waren sich darin einig, daß ein paar behaarte Vorfahren, ein paar Bastarde und auch sonst eine buntgemischte Sippschaft darunter gewesen sein müßte.
    Dann fragte Pearson Garraty plötzlich: »Hast du schon mal eine Klistierspritze gekriegt?«
    »Eine Klistierspritze?« wiederholte Garraty verwundert und dachte darüber nach. »Nein, ich glaube nicht.«
    »Einer von euch vielleicht, Jungs?« fragte Pearson weiter. »Jetzt seid mal ehrlich.«
    »Ich hab' mal eine bekommen«, sagte Harkness und kicherte leise. »Meine Mutter hat mir eine verpaßt, als ich noch klein war. Ich glaube, ich hatte beinahe eine ganze Einkaufstasche voller Bonbons aufgegessen. Es war Halloween.«
    »Hat es dir gefallen?« drängte Pearson ihn.
    »Um Gottes willen, nein! Wem in aller Welt würde es wohl gefallen, einen halben Liter warme Seifenlauge in den A-«
    »Meinem kleinen Bruder«, unterbrach Pearson ihn traurig. »Ich hab' die kleine Rotznase gefragt, ob sie traurig sei, daß ich wegginge, und er hat nein gesagt, weil Mam ihm eine Klistierspritze versprochen hatte, wenn er brav wäre und nicht weinen würde. Er liebt diese Dinger.«
    »Igitt«, sagte Harkness laut. »Das ist ja

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