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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht die ganze Zeit gehen, nicht wahr, Jungs? Nicht die ganze Zeit.« Olson seufzte leise, als er an Larson vorbeiging, und wich schaudernd vor ihm zurück, als dieser versuchte, ihn am Hosenbein festzuhalten.
    Garraty spürte, wie sein Puls warm an seiner Schläfe pochte. Er hörte, wie Larson zum drittenmal verwarnt wurde und dachte: jetzt wird er's kapieren. Jetzt wird er aufstehen und losrennen.
    Schließlich kapierte Larson tatsächlich, wie es um ihn stand. Die Realität mußte wie ein Sturzbach über ihn hereingebrochen sein. »He!« rief er hinter ihnen mit hoher, besorgter Stimme. »He, was soll das? Tun Sie das nicht! Ich steh' ja schon auf! Tun Sie das ni-«
    Der Schuß. Sie kletterten weiter den Hügel hinauf.
    »Da waren's nur noch dreiundneunzig«, sagte McVries leise.
    Garraty antwortete nicht, sondern konzentrierte sich weiter darauf, die Hügelkuppe ohne eine dritte Verwarnung zu erreichen. Er starrte unablässig auf seine Füße hinab. Ich kann dieses Monstrum von Hügel nicht mehr länger ertragen, dachte er. Viel länger geht es nicht mehr.
    Vorn stieß jemand einen hohen, kollernden Schrei aus, und dann krachten die Gewehre einstimmig los.
    »Barkovitch«, sagte Baker aufgeregt. »Ich bin sicher, das war Barkovitch.«
    »Falsch, mein Lieber!« rief Barkovitch aus der Dunkelheit. »Hundertprozentig falsch getippt!«
    Den Jungen, der kurz nach Larson erschossen worden war, sahen sie nicht mehr. Er hatte zur Vorhut gehört und war, noch bevor sie die Stelle erreichten, von der Straße geschleift worden. Garraty wagte einen Blick nach vorn, aber er bedauerte es sofort. Die Hügelkuppe war zwar verschwommen zu sehen, aber sie war mindestens noch die Länge eines Footballfeldes von ihnen entfernt. Es kam ihm so vor, als wären es hundert Meilen. Niemand sprach; alle hatten sich in ihre eigene kleine Welt der Anstrengung und Schmerzen zurückgezogen. Die Sekunden dehnten sich zu Stunden.
    Kurz vor der Hügelkuppe zweigte ein zerfurchter Sandweg von der Hauptstraße ab. Dort stand ein alter Farmer mit seiner Familie und beobachtete, wie sie vorbeigingen. Ein dürrer Mann mit hefgefurchter Stirn, eine Frau mit einem hageren, scharfgeschnittenen Gesicht in einem unförmigen Mantel und drei Teenager, die alle schwachsinnig aussahen.
    »Der braucht nur noch eine Heugabel«, keuchte McVries Garraty atemlos ins Ohr, »und Grand Wood... Um ihn zu malen.« Der Schweiß lief ihm in Strömen übers Gesicht.
    Jemand rief: »Hallo, Alter!« zum Farmer hinüber, aber der Mann und seine Familie reagierten nicht.
    Der Alte steht im Regen, dachte Garraty aufgekratzt. Hiho, the dairy-o, der alte Protz steht im Regen.
    Der Farmer und seine Familie lächelten nicht, runzelten nicht die Stirn, hielten keine Schilder hoch und winkten auch nicht. Sie guckten bloß. Garraty erinnerte das an die alten Wildwestfilme, die er an den unzähligen Nachmittagen seiner Kindheit gesehen hatte. Der Held wurde allein in der Wüste zurückgelassen, um zu sterben, und bald kreisten die Bussarde über ihn. So wurde auch diese Familie von ihnen zurückgelassen, und er war froh darüber. Er nahm an, daß der Farmer mit seiner Frau und den drei schwachsinnigen Kindern am nächsten ersten Mai um neun Uhr abends wieder an derselben Stelle stehen würde - und im nächsten Jahr - und im nächsten. Wie viele Jungen waren schon vor seinen Augen erschossen worden? Ein Dutzend? Zwei Dutzend? Er schob den Gedanken lieber zur Seite. Mit einem Schluck Wasser aus der Feldflasche spülte er sich den Mund, um den trockenen Speichel aufzulösen, und spuckte ihn aus.
    Der Anstieg zog sich immer weiter in die Länge. Toland fiel in Ohnmacht und wurde erschossen, nachdem der Soldat, der neben ihn getreten war, seinen bewußtlosen Körper dreimal verwarnt hatte. Garraty hatte das Gefühl, nun schon einen Monat lang zu steigen. Ja, es mußte mindestens ein Monat sein, und das war noch eine vorsichtige Schätzung, denn sie befanden sich jetzt bestimmt schon drei Jahre auf ihrem Marsch. Er kicherte leise, spülte sich noch einmal den Mund aus und schluckte das Wasser diesmal hinunter. Nur keine Krämpfe jetzt. Ein Krampf wäre im Augenblick das Ende. Aber es könnte passieren. Es könnte sogar gleich losgehen, denn irgendein Idiot hatte seine Schuhe, als er kurz weggeblickt hatte, in flüssiges Blei getaucht.
    Neun Leute ausgeschieden, und drei davon hatte es hier auf dem Hügel erwischt. Hatte der Major nicht zu Olsen gesagt, er solle ihnen die Hölle heiß

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