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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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beiden Straßenseiten. Bevor alles vorbei war, waren über zwanzig Menschen totgetrampelt worden. Das geschah vor allem, weil die Leute versuchten, mit den Gehern mitzulaufen, um das Ende nicht zu verpassen. Ich hatte einen Sitzplatz in der ersten Reihe. Mein Dad hatte ihn mir besorgt.«
    »Was ist dein Vater denn?« fragte Garraty erstaunt.
    »Er gehört zur Überwachungstruppe. Er hatte den Platz genau richtig gewählt, ich brauchte mich nicht einmal zu bewegen. Der Marsch endete direkt vor meiner Nase.«
    »Was ist passiert?« fragte Olson leise.
    »Ich hörte sie schon kommen, lange bevor ich sehen konnte. Das ging uns allen so. Ihnen lief eine riesige Klangwolke voraus, die näher und näher kam. Aber es dauerte noch eine Stunde, bis sie so nahe waren, daß wir sie sehen konnten. Sie kümmerten sich nicht um die Menge, die beiden, die noch übriggeblieben waren. Sie schienen sie nicht einmal zu bemerken. Sie blickten nur auf die Straße. Beide humpelten. So als wären sie gekreuzigt und danach wieder vom Kreuz abgenommen worden, um mit den Nägeln in den Füßen die Straße hinunterzulaufen.«
    Alle hörten jetzt Stebbins zu. Entsetztes Schweigen hatte sich wie eine Gummidecke über sie gebreitet.
    »Die Menge jubelte ihnen zu, als ob sie sie noch hören könnten. Eine Gruppe rief den Namen des einen Gehers, die anderen brüllten nach dem anderen, aber das einzige, was wirklich durchdrang, war das rhythmische Geh... Geh... Geh... Ich wurde herumgeschoben wie ein Bohnensack, und der Kerl neben mir pinkelte in die Hose oder war dabei zu masturbieren, genau konnte ich das nicht erkennen.
    Sie kamen direkt an mir vorbei. Der eine war ein langer, blonder Kerl, der sein Hemd offen trug. Eine seiner Schuhsohlen hatte sich gelöst und klapperte bei jedem Schritt auf die Straße. Der andere hatte nicht einmal mehr Schuhe an, sondern ging in Strumpf socken. Seine Socken hörten allerdings schon an den Knöcheln auf. Der Rest - nun, den wird er wohl abgelaufen haben, nicht wahr. Seine Füße waren Mau. Die geplatzten Adern waren deutlich zu erkennen. Ich glaube nicht, daß er noch irgend etwas gespürt hat. Vielleicht haben sie seine Füße später behandeln können, das weiß ich nicht. Vielleicht haben sie noch etwas für ihn tun können.«
    »Hör auf! Um Gottes willen, hör auf damit!« Das war McVries. Er wirkte betäubt und krank.
    »Du wolltest es doch hören«, antwortete Stebbins mit freundlicher Stimme. »Hast du das nicht gesagt?«
    Keine Antwort. Das Panzerfahrzeug beschleunigte heulend das Tempo, und weiter vorn wurde jemand verwarnt.
    »Der lange Blonde hat verloren. Ich habe alles genau gesehen. Sie waren nur ein kleines Stück an mir vorbeigegangen, da warf der eine die Arme hoch, als wäre er Superman. Doch anstatt zu fliegen, fiel er einfach vornüber auf den Bauch. Dreißig Sekunden später wurde er erschossen, denn er hatte schon drei Warnungen auf dem Buckel. Beide hatten schon drei Verwarnungen.
    Dann fingen die Zuschauer an zu jubeln. Sie schrien und schrien, und man konnte sehen, daß der Junge, der gewonnen hatte, etwas sagen wollte. Die Menge beruhigte sich langsam. Er war auf die Knie gefallen, als ob er beten wollte, aber er weinte bloß. Und dann kroch er auf den Toten zu und verbarg sein Gesicht in dessen Hemd. Er fing an zu sprechen, sagte wohl alles, was er loswerden mußte, aber wir konnten ihn nicht hören, weil er nur in das Hemd des Toten sprach. Er erzählte es seinem toten Kameraden. Die Soldaten eilten auf ihn zu und sagten ihm, daß er den Preis gewonnen hätte. Sie fragten ihn, was er jetzt damit tun wolle.«
    »Und? Was hat er gesagt?« fragte Garraty. Es kam ihm so vor, als liege das ganze Gewicht seines Lebens in dieser Frage.
    »Zu ihnen hat er nichts gesagt«, antwortete Stebbins. »Da noch nicht. Er redete nur mit dem Toten. Es muß furchtbar wichtig für ihn gewesen sein, aber wir konnten ihn nicht hören.« , »Und was passierte dann?« fragte Pearson weiter.
    »Ich weiß es nicht mehr«, sagte Stebbins leise. Er schien plötzlich sehr weit weg zu sein.
    Alle schwiegen betroffen. Garraty hatte ein beklemmendes Gefühl in der Brust, als sitze er in einer engen Kanalröhre fest, aus der er sich nicht befreien konnte. Vorn wurde eine dritte Verwarnung ausgeteilt, ein Junge stieß einen hohen, krächzenden Schrei aus. Es hörte sich an wie eine sterbende Krähe. Bitte, lieber Gott, laß sie jetzt keinen erschießen, betete Garraty. Wenn ich jetzt die Gewehre hören müßte,

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