Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Abspielprogramms. Nach kurzem Flimmern und einigen Störungen, bei denen Teile des Bildausschnitts nur schwarze und pinkfarbene Quadrate zeigten, erkannte Julia Durant die ersten Details. Offenbar handelte es sich um eine Standaufnahme, der Bildmittelpunkt war ein breites Bett, Julia schätzte es auf eins sechzig, mit einem dunklen Metallrahmen und einem Gitter an der Kopfseite. Alt oder auf alt gemacht, das konnte sie von der Aufnahme her nicht beurteilen, viel wichtiger jedoch war die Person, die mit Handschellen an die Gitterstäbe gefesselt war. Eine junge Frau, bestimmt noch unter fünfundzwanzig, lag auf dem weißen Laken, nackt, die Arme mit den fixierten Handgelenken über Kopf, die Oberschenkel krampfhaft aneinandergepresst, so zumindest vermutete Julia. Ihre Bewegungen wirkten langsam, fast wie in Trance, den Gesichtsausdruck vermochte die Kommissarin nicht mehr einzuschätzen, denn das Bild fror abrupt ein, und im nächsten Augenblick zeigte der Mediaplayer wieder einen schwarzen Hintergrund.
»Was war denn das?«, wisperte Kullmer.
»Elf Sekunden purer Horror«, kommentierte Kaufmann. »Spiel es noch mal ab, Julia, und klicke da unten auf den Doppelpfeil. Dann wiederholt sich das Video, anstatt abzubrechen.«
Julia Durant klickte mit dem Cursor auf die entsprechenden Buttons, dann betrachteten sie die beklemmende Szene erneut. Während des dritten Durchlaufs steuerte Julia die Pausenfunktion an, und das Bild blieb bei Zeitindex 00:08 stehen. Das Gesicht des Mädchens war etwas unscharf, aber dennoch war eindeutig, dass in ihrer Mimik Angst lag.
»Kann man das irgendwie heranzoomen?«, fragte Julia unsicher.
»Schon, aber dadurch wird die Qualität nicht besser. Darf ich mal?«
Julia machte ihrer eifrigen Kollegin Platz und bewunderte Sabine nicht zum ersten Mal für ihren sicheren Umgang mit dem PC. Mit wenigen routinierten Handgriffen erstellte sie einen Snapshot von einer geeigneten Stelle des Videos, öffnete dieses Bild in einem neuen Fenster und vergrößerte den Bereich mit Oberkörper und Kopf des Mädchens auf die gesamte Bildschirmgröße. Langes, dunkles Haar rahmte ein makelloses Gesicht ein, volle Lippen, eine zarte Nase und große Augen, kurzum: eine wunderschöne Frau. Und tatsächlich stand in ihren Augen ein Ausdruck von Panik.
Julia Durant hatte dieses Gesicht noch nie zuvor gesehen. »Wäre ja auch zu einfach gewesen«, seufzte sie zerknirscht. Bereits beim ersten Durchlauf hatte sie die Hoffnung aufgeben müssen, dass es sich bei der Aufnahme um das zerstückelte Opfer des Vormittags handeln könnte. Doch wenigstens eines der bekannten Gesichter hätte es ja sein können, vielleicht sogar eine aus dem Dutzend junger Frauen, die im Rhein-Main-Gebiet als vermisst galten. Doch so einfach sollte es nicht sein.
»Wie sieht es mit euch aus?«, fragte Julia in die Runde. »Kommt jemandem das Gesicht bekannt vor?«
Doch sie sah nur verhaltenes Kopfschütteln und griff daraufhin zum Telefon.
»Hallo, Herr Schreck, hier noch mal Durant. Können Sie uns aus einem Standbild ein aufbereitetes Porträt erstellen? – Ja, genau, zum Abgleich mit den Datenbanken. Konterfei bis Halsansatz genügt. – Danke, das ist nett.«
Danach wandte sie sich an ihre Kollegen, die wieder vor dem Schreibtisch Platz genommen hatten: »Okay, in zehn Minuten bekommen wir ein brauchbares Erkennungsfoto, ich leite es sofort weiter an die Vermisstenstelle und das BKA.«
»Ja, und die sollen das Suchraster ruhig über das gesamte Spektrum laufen lassen«, warf Kullmer ein, »inklusive Entführung, Lösegeldforderungen und diese ganze Sparte eben. Einschränken können wir noch immer.«
»Wir sollten ohnehin zurückhaltend sein mit irgendwelchen Theorien«, stimmte Julia ihm zu. »Denn uns fehlt eine gemeinsame Komponente. Lasst uns mal rüber an die Tapete gehen, Schrecks Foto wird ja noch ein bisschen dauern.«
Sie wechselten ins Konferenzzimmer und versammelten sich vor dem Whiteboard. Julia griff sich einen der dicken Filzstifte.
»Schreiben wir erst mal hierauf, dann können wir es verändern. Tapezieren können wir immer noch.«
Nacheinander notierte sie die Namen Alexander Bertram, Carlo Stiegler und Janine Skorzy in drei Ecken des Boards, dann, etwas zögerlich, noch den Namen Jennifer Mason.
»Okay, was haben wir also vorliegen«, begann sie nachdenklich. »Wir vermuten, dass Bertram und Stiegler sich kannten.« Sie zog eine gestrichelte Linie zwischen beide Namen.
»Und Bertram und Mason kannten
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