Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
zu Kullmer, dann zu Seidel und sprach in einem auffordernden Tonfall weiter: »Jetzt mal Tacheles. Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Snuff-Theorie auf Alexander Bertram passt?«
Angespanntes Schweigen, schnelle Blicke wurden gewechselt, doch keiner der Anwesenden schien einen Anfang machen zu wollen. Es war Sabine Kaufmann, die sich schließlich dazu aufraffte.
»Ich wollte mich eigentlich noch zurückhalten«, sagte sie, »denn ich stecke in dem Thema schon von früher her drin und bin vielleicht nicht ganz objektiv.«
»Objektivität gibt es ohnehin nicht«, warf Julia Durant ein. »Keiner von uns kann einen Sachverhalt bewerten, ohne dass unsere persönlichen Erfahrungen damit in Wechselwirkung stehen.«
»Es sei denn, wir beschäftigen einen Autisten als Profiler«, ulkte Peter, hob aber sofort beschwichtigend die Hände. »Nicht wieder mosern, war nur ein Scherz. Also los, Sabine, ich bin gespannt.«
»Okay, ihr wollt meine ehrliche Meinung, dann bitte sehr: Für mich hat die Snuff-Theorie nicht nur eine Wahrscheinlichkeit von neunzig Prozent, so weit lehne ich mich jetzt mal aus dem Fenster, für mich ist es auch die einzige Theorie, die drei oder sogar vier einzelne Fällen in einen Gesamtzusammenhang stellen kann.«
»Das war eindeutig«, kommentierte Julia, die in ihrer Einschätzung weitaus vorsichtiger gewesen wäre, vielleicht fifty-fifty, aber letzten Endes klang die Theorie durchaus überzeugend. Mehr als alles andere wollte sie Sabines optimistischer Einschätzung Folge leisten, rief sich dann aber zur Vernunft.
»Ich hätte es noch nicht so hoch angesetzt, aber das ist ja auch momentan mein Job«, lächelte sie. »Es braucht in einer Runde schließlich Zweifler. Ich hoffe jedoch, dass diese Zweifel baldmöglichst ausgeräumt werden. Was ist mit euch, Peter, Doris?«
»Siebzig – dreißig«, antwortete Kullmer sofort. »Die nächsten Daten von Schreck werden möglicherweise die bestehenden Zweifel ausräumen.«
»Aber eine Videosequenz hat er uns ja schon gegeben«, gab Seidel zu bedenken, »und zwar eine recht eindeutige. Solange es also keine anderen Hinweise gibt«, fuhr sie fort, »würde ich auf achtzig – zwanzig gehen. Mindestens.«
Julia Durant erhob sich langsam und sah erneut auf die Uhr.
»Gut, dann haben wir das fürs Erste geklärt. Mittlerweile dürfte wohl auch der bearbeitete Bildausschnitt aus dem Video vorliegen. Ich schlage also vor, wir lassen die Fahndungsmaschinerie dann mal ihren Dienst tun. Bis die ersten Ergebnisse eintrudeln, dürfte es etwas dauern. Sabine, du wendest dich bitte in der Zwischenzeit an die Sitte, prüfst dort gezielt in Richtung Snuff, du kannst dir auch ruhig noch jemanden dazuholen.«
Dann rieb Julia sich die Schläfen und fügte leise hinzu: »Ich für meinen Teil werde mir die Anrufe nach Hause umleiten lassen, mir platzt der Schädel, ich muss mal dringend ein, zwei Stündchen die Füße hochlegen, wer weiß, wann ich wieder dazu komme, wenn es hier richtig losgeht.«
»Hoffentlich bald«, murmelte Seidel, »bevor es das nächste junge Mädchen erwischt.«
Etwas lauter und mit einem warnenden Unterton verabschiedete sich Julia Durant.
»Gut, ich bin dann mal weg, aber ich erwarte, über jede Neuigkeit umgehend informiert zu werden!«
Donnerstag, 17.13 Uhr
V iertel nach fünf, nicht übel, dachte Julia Durant, als sie die Augen aufschlug und ihr Blick suchend zur Uhr wanderte. Sie fühlte sich ausgeruht, einzig der Nacken bereitete ihr etwas Kummer, denn sie war auf der Couch eingenickt und hatte dabei keine rückenfreundliche Schlafposition eingenommen. Das Möbelstück mochte elegant und sauteuer sein, aber davon wurde es nicht zwingend zum bequemen Schlafsofa. Julia tastete nach ihrem Handy, fand es schließlich neben sich zwischen der Rückenlehne und ihrer Hüfte, es war warm, offenbar hatte sie darauf gelegen. Das Display blieb dunkel. Mist, sie musste es versehentlich ausgeschaltet haben. Sie startete das Telefon neu, erhob sich, tippte die PIN ein und trottete dann in Richtung Küche. Ihr trockener Mund sehnte sich nach einer Cola, eiskalt und am besten aus der Dose. Sie öffnete den Kühlschrank in der bangen Hoffnung, fündig zu werden, und sie hatte tatsächlich Glück. Zischend zog die Kommissarin die Aluminiumlasche nach hinten, prüfte das Gemüsefach auf eine aufgeschnittene Zitrone und träufelte anschließend einige Tropfen Saft in die Dosenöffnung. Koffein und Vitamin C, das beste Mittel zur Vorbeugung von
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