Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
sich definitiv«, ergänzte Kaufmann. Diese Verbindungslinie zog Julia durchgehend.
»Bei Stiegler und Mason spielte ›Stairway to Heaven‹«, überlegte Julia, nahm einen blauen Marker und verband die beiden Namen mit einer entsprechend beschrifteten Linie.
»Was ist denn mit diesem Kommentar von Andrea?«, hakte Kullmer nach und spielte damit auf die Erwähnung Dahmers an.
»Keine Ahnung, wie das hier reinpasst«, schüttelte sie den Kopf.
»Eine Gemeinsamkeit mit Stiegler vielleicht?« Kullmer blieb hartnäckig. »Ich meine, wenn wir wegen dieser Led-Zeppelin-Geschichte mal von einer Serie ausgehen …«
»Na gut, notieren wir es mal«, sagte Julia.
»Bertram hat ein mutmaßliches Gewaltvideo auf der Kamera«, fuhr Sabine Kaufmann fort, »und einen offensichtlich geheimen Verschlag mit High-Tech-Equipment. Das gefilmte Mädchen passt vom Alter her sowohl zu Mason als auch zu Skorzy.«
»Das Eis wird dünner«, kommentierte Julia, als sie zwei weitere Linien auftrug. Sie entschied sich, sie gepunktet zu zeichnen.
Nachdenklich betrachteten alle das Board.
»Der gemeinsame Nenner ist noch immer Bertram«, folgerte Doris Seidel. »Zu ihm führen die meisten Verbindungen.«
»Und zwar über das Medium Video«, ergänzte Sabine Kaufmann.
»Es sind aber vor allem hypothetische Linien, die wir da konstruiert haben«, gab Julia zu bedenken. »Vielleicht sollten wir als Erstes versuchen, diese Video-Komponente auszuklammern oder, was natürlich besser wäre, sie auf ein hieb- und stichfestes Fundament zu stellen.«
»Vielleicht sollten wir uns in diesem Zusammenhang mal über einen ganz bestimmten Ansatz unterhalten«, schlug Sabine Kaufmann vor. »Es ist mir eben wie Schuppen von den Augen gefallen. Überlegt doch mal, könnte es vielleicht sein, dass wir es hier mit Snuff-Videos zu tun haben?«
»Snuff-Videos?« Julia Durant runzelte die Stirn.
»Ja, ich bin drauf gekommen, als ich an die Videothek dachte, die Szene in der Filmsequenz, Bertrams Ausrüstung und natürlich die Musik«, erklärte Kaufmann. »Hat denn jeder von euch eine Ahnung, was mit ›Snuff‹ gemeint ist?«
Sie griff sich ein gelbes, ovales Tonpapier und kritzelte den Begriff in Großbuchstaben darauf. Dahinter setzte sie ein Fragezeichen und plazierte die Notiz mit einem Magneten mitten auf das Board. Danach blickte sie fragend in die Runde. Julia Durant kramte in ihrem Gedächtnis, Snuff …
»Das sind doch diese Filme, in denen jemand stirbt, richtig?«, dachte sie laut und vernahm ein zustimmendes Murmeln.
»Ja und nein«, erwiderte Kaufmann. »Setzen wir uns noch mal, dann erzähle ich was darüber.«
Die kleine Gruppe nahm an einem nahe stehenden Doppeltisch Platz, jeder an einer Kante.
»Übersetzt bedeutet ›Snuff‹ so etwas wie ›jemanden auslöschen‹«, fuhr Sabine fort, »das ist ein umgangssprachlicher Jargon. Es ist richtig, dass es sich bei Snuff-Videos in der Regel um Filme handelt, in deren Verlauf eine Person live vor der Kamera getötet wird. So zumindest hat man das in den siebziger Jahren klassifiziert, aber damals gab es schließlich noch kein Internet, und selbst die Nachrichtenmedien hielten noch gewisse ästhetische Grenzen ein. Erinnert ihr euch an die Aufnahmen aus Abu Ghraib?«
»War das nicht dieses amerikanische Gefängnis?«, überlegte Kullmer.
»Im Irak, ich erinnere mich«, nickte Julia. »Dürfte um die fünf, sechs Jahre her sein.«
»Ja, das meine ich«, bestätigte Sabine. »Seitdem es Handys mit Videofunktion gibt und beinahe jeder mit einer Kamera umherrennt, ist eine ganze Flut von Gewaltvideos entstanden. Kommt so etwas an die Öffentlichkeit, ist der Skandal gewöhnlich groß. Andererseits zeigt das Fernsehen mittlerweile kaum weniger brutale Bilder, sei es nun in Spielfilmen oder Reportagen. Folter, Gewalt und Tod alleine machen natürlich noch keinen Snuff-Film aus.«
»Sonst wäre diese Handy-Aufzeichnung von Saddams Hinrichtung ja auch einer gewesen, oder?«, warf Doris ein.
»Gutes Beispiel«, murmelte Sabine. »Für Gesichter des Todes wäre es mit Sicherheit das passende Material gewesen.« Dann, entschlossener, fügte sie hinzu: »Der entscheidende Unterschied liegt in der fehlenden sexuellen Komponente. Diese Abgrenzung ist so wichtig, weil das Internet ja überquillt vor Gewaltvideos.«
»Ja, grauenvoll«, bestätigte Kullmer. »Weißt du noch, Doris, dieser Artikel letztens über ›Happy Slapping‹? Da waren doch vor den Ferien wieder ein paar Vorfälle. Mensch, das
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