Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Vermutung lag nahe, dass es sich um eine dieser zügellosen Studentenpartys gehandelt hatte, bei denen es immer wieder zu Exzessen kam. Studentinnen, die mit ihren weiblichen Attributen nicht geizten, dazu eine schwüle Sommernacht, reichlich Alkohol und Drogen. Ausgelassene junge Männer, die nicht interessiert waren an Philosophie oder Naturwissenschaft, sondern die Körper der Mädchen mit ihren Blicken verzehrten und sich immer weiter aufputschten. Mit jedem Schluck und jeder Pille sank die Hemmschwelle, irgendwann erledigte das Testosteron den Rest, und sie fielen wie die Tiere übereinander her. Doch war das wirklich schon alles?
Nicht für Julia Durant. Wer auch immer sich im Vollrausch einer Vergewaltigung schuldig macht, der schlitzt doch seinem Opfer danach nicht die Kehle auf. Warum sollte man sich mit einem Mord belasten, wenn das Rechtssystem für Sexualstraftäter doch genügend Möglichkeiten und Auswege bereithielt, zum Beispiel, sich auf verminderte Schuldfähigkeit zu berufen. Ein freiwilliger Entzug, begleitende Therapie und außerdem das stetige Bedauern, die vermeintlich lockenden Signale der jungen Frau schlicht und ergreifend falsch interpretiert zu haben. Durant hatte oft genug erlebt, wie den Opfern sexueller Gewalt eine Mitschuld angedichtet wurde.
»Die heftigen Verletzungen Jennifers schließen jede Form einvernehmlichen Verkehrs aus«, bekräftigte sie Hellmers sachliche Auflistung. »Das Mädchen wurde womöglich über Stunden gequält und danach ermordet. Da gibt es nichts zu beschönigen.«
»Hat auch niemand vor«, kommentierte Berger und suchte mit dem Zeigefinger eine bestimmte Stelle in seinen Notizen. »Ich hatte vor einer Viertelstunde Professor Bock am Telefon, der bestätigte noch einmal die außerordentliche Brutalität. Für Details werden wir uns bis Montag gedulden müssen. Der innere Schambereich des Mädchens muss eine einzige große Wunde sein.«
Durant seufzte und Hellmer fragte: »Was ist mit Alkohol und Drogen?«
»Der Schnelltest sagt, dass sie Kontakt mit Haschisch hatte. Blutalkohol dürfte bei etwa zwei Promille liegen. Koks war auf den ersten Blick keines in der Nase. Genaueres ist zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht drin, zumal sich Bock und Sievers primär auf die Sicherstellung fremder DNA konzentrieren.«
»Also hängen wir bis dahin in der Luft«, seufzte Durant.
»Wie man es nimmt«, sagte Berger. »Wir haben noch ein paar Verhöre, die wir führen können. Dafür müssen die Kerle nur erst mal wieder nüchtern werden.«
John Simmons, so fasste er kurz zusammen, war auf Empfehlung von Sabine Kaufmann von zwei Beamten zur ärztlichen Untersuchung begleitet worden. Einem Drogen- und Alkoholtest widersetzte sich der athletische Amerikaner zunächst erfolgreich. Er begann um sich zu schlagen, wobei er ungeahnte Kräfte freisetzte. Dabei habe er lauthals geschrien. Es hatte dann wohl eine Weile gedauert, bis die Beamten ihn überwältigen konnten. Wenn man ihrer Meldung Glauben schenken durfte, saß der zuvor noch wilde Stier Simmons nun wimmernd in einer Ausnüchterungszelle. Den heroisch dazugedichteten Anteil dieser Meldung konnte man vorerst nur erahnen.
Den Namen Gregor Taubert hatte Durant noch vor Verlassen der Klinik telefonisch ins Präsidium übermittelt, um das Personenregister prüfen zu lassen. Glücklicherweise gab es nur einen Treffer im Stadtgebiet, und da Kaufmann sich noch nicht zurückgemeldet hatte, hatte Kullmer sich auf den Weg dorthin begeben. Dieser war nicht einmal weit, denn Taubert war im Studentenwohnheim an der Bockenheimer Warte gemeldet, keine zwei Kilometer Luftlinie vom Präsidium entfernt. Wenn der Student sich allerdings in einem ähnlichen Zustand befand wie Simmons, so befürchtete Durant, würde auch diese Spur zunächst keinen wirklichen Zugewinn bedeuten.
»Hört mal kurz zu, Leute.« Doris Seidel hatte sich der kleinen Versammlung genähert und wedelte mit einem gelben Notizzettel.
»Frau Seidel«, nickte Berger auffordernd, und auch Hellmer und Durant richteten ihre Blicke auf die hübsche, zierlich wirkende und doch, wie man wusste, gut durchtrainierte Kollegin.
»Soeben hat mich die Leitstelle darüber informiert, dass im Günthersburgpark eine orientierungslose junge Frau aufgegriffen wurde. Sie ist dunkelhäutig und spricht bisher nur in wirrem Englisch. Sie trägt keine Papiere bei sich, aber …«
»Helena Johnson«, platzte es fast gleichzeitig aus Durant und Hellmer heraus.
»Äh, ja«, sagte
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