Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
er vorangehen solle. In der Küche angekommen, schneuzte Helga Stiegler sich die Nase.
»Verzeihung, gerade läuft eine Vorabendserie, Anwälte, Sie wissen schon« – schnief –, »da habe ich an meinen Carlo gedacht, ach Gott …« Sie schluckte und verharrte für einen Moment, gerade lang genug, dass Kullmer die Sprechpause nutzen konnte, um selbst etwas zu sagen.
»Frau Stiegler, unser aufrichtiges Mitgefühl, ich versichere Ihnen, wir arbeiten auf Hochtouren …«
»Und was heißt das genau? Ich meine, Sie sprachen eben von einer Frage – einer einzigen? Bedeutet das, dass Sie bereits alles andere wissen?« Ihre Stimme bebte leicht, hatte einen hysterischen Unterton, beinahe so, als könne sie jeden Augenblick losschreien.
»Wir werden auch nach drei Dutzend weiteren Fragen nicht müde, das versichere ich Ihnen«, sagte Doris sanft. »Unsere Chefin, das kann ich Ihnen versichern, hat dieser Ermittlung oberste Priorität gegeben.«
»Und? Haben Sie schon irgendwelche Ergebnisse?«, fragte Helga Stiegler leise.
»Wir haben einige Spuren, denen wir nachgehen«, begann Kullmer, »und eine, nein sogar zwei Personen, nach denen wir konkret fahnden.«
»Zwei Mörder?«, entfuhr es Frau Stiegler.
»Zwei Personen, die wir befragen müssen«, korrigierte Kullmer und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Keine Details an Angehörige ausplaudern, mahnte er sich. Warum fiel es ihm bloß so schwer, sich daran zu halten?
»Kommen wir also zu unserer Frage«, sagte Doris Seidel. »Wir sind auf der Suche nach einem dunkelgrauen 1er BMW, Kennzeichen M, ein elegantes Coupé.«
»Ich habe nicht mal einen Führerschein«, wandte Helga Stiegler kopfschüttelnd ein. »Kenne mich auch überhaupt nicht aus mit Autos, tut mir leid. Was hat dieser Wagen denn mit meinem Carlo zu tun?«
»Genau das wollen wir herausfinden«, erläuterte Kullmer. »Und noch etwas.« Er zog ein Foto von Alexander Bertram hervor und legte es vor sich auf die Tischplatte. Dann drehte er es mit Daumen und Zeigefinger herum, so dass Frau Stiegler das Gesicht richtig herum erkennen konnte.
»Ist das der Bekannte Ihres Sohnes?«
Sofort weiteten sich ihre Augen.
»Ja, genau, das ist er«, nickte sie eifrig. »Was hat er Ihnen denn erzählen können, hat er meinen Jungen noch einmal gesehen?« Dann wurde ihre Stimme plötzlich so leise, dass sie kaum mehr wie ein ängstlicher Hauch klang. »Oder hat er etwas mit Carlos Tod zu tun?«
»Das würden wir ihn gerne fragen, dazu benötigen wir aber Hinweise auf den BMW«, sagte Kullmer. So viel durfte er wohl noch verraten.
»Bedaure. Ich habe Sie vorhin hier ankommen sehen, aber man bekommt hier sonst nicht jedes Auto mit. Die Wände sind zwar hellhörig, und das nicht zu knapp«, bekräftigte sie, »aber fragen Sie mal zwei Türen weiter, bei Elfriede Kramer. Seit ihrem Schlaganfall sitzt sie jeden Tag am Fenster, die Arme, sie hat ja auch niemanden.« Nach einem mitleidigen Seufzer ergänzte sie: »Allerdings kennt Frieda sich mit Autos wohl noch weniger aus als ich. Wenn das überhaupt geht.«
»Danke, wir gehen dem nach«, lächelte Doris Seidel. »Unsere beiden anderen Kollegen sind bereits nebenan zugange, wie Sie vorhin bestimmt gesehen haben.«
»Ist mir nicht entgangen«, nickte Frau Stiegler. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie meinen Jungen nicht einfach als einen weiteren Mord in Ihrer Statistik behandeln.«
»Das tun wir nie«, versicherte Doris Seidel und reichte ihr die Hand. »Glauben Sie mir, das tun wir nie.«
Sie verabschiedeten sich von Helga Stiegler, die wie ein Häufchen Elend am Küchentisch sitzen blieb und mit leeren Augen das hölzerne Kruzifix fixierte, das neben der Küchenuhr hing.
Zwischen dem Eingang der Stieglers und dem von Elfriede Kramer lag eine weitere Wohnung, und Kullmer wechselte einen fragenden Blick mit Seidel.
»Da können wir zum Schluss immer noch hingehen«, schlug sie vor, und Peter nickte. Die beiden schlenderten an der Hecke entlang, immergrüne Eibe, die wie mit dem Lineal geschnitten wirkte, passierten die Einbuchtung mit den in Reih und Glied stehenden Mülltonnen und bogen in den mit Waschbetonplatten ausgelegten Zugangsweg. Zwischen den Fugen drangen Grasbüschel hervor, die Wäschespinne im Vorgarten war bemoost, und zwei der Seile hingen schlaff hinab. Der Rasen hatte einen neuen Schnitt bitter nötig, doch was hatte Frau Stiegler gesagt? Frau Kramer hatte wohl niemanden, der das für sie erledigte.
»Sagen Se bloß nix, is
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