Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
bitte.«
Die Asiatin tuschelte kurz mit ihrem Kollegen, Kullmer sah ihn nicken, dann tippte sie etwas in den Computer.
»314«, teilte sie ihm mit und deutete schräg hinter sich. »In der dritten Etage, das Treppenhaus und den Fahrstuhl finden Sie dort hinten.«
»Der Schlüssel?«
Zögernd drehte die Angestellte sich um, prüfte zuerst etwas in einer breiten Schublade nach, griff dann neben den Computermonitor und reichte dem Kommissar eine weiße Plastikkarte mit schwarzem Magnetstreifen.
»Hier bitte«, sagte sie. »Damit kommen Sie auch rein. Der Gast ist nämlich noch oben.«
Kullmer bedankte sich, erreichte kurz darauf den Aufzug und drückte auf den silbernen Knopf am Bedienfeld neben der Schiebetür. Die rote Digitalanzeige verriet, dass die Kabine sich im sechsten Stock befand. Ungeduldig trat der Kommissar von einem Bein aufs andere und wartete darauf, dass die Anzeige sich veränderte. Sekunden später, die ihm wie eine halbe Ewigkeit erschienen waren, hatte sich noch immer nichts getan, vermutlich ein weiterer Trupp dekadenter Schnösel, die ihr Gepäck verluden, um auszuchecken. Was hatte die Kleine am Empfang gesagt, dritte Etage? Kullmer wandte sich kurzentschlossen nach rechts und eilte die Treppenstufen hinauf. Zugegeben, er war nicht mehr in derselben Form wie mit fünfundzwanzig, aber drei Stockwerke, das bedeutete einen Höhenunterschied von etwa zehn Metern. Vor ein paar Jahren hättest du gleich die Treppe genommen, dachte er, als er keuchend die letzte Biegung nahm. Nur noch zehn Stufen, er trieb sich an, sein Puls pochte stark, er atmete schnell, doch gleichzeitig fühlte Kullmer sich sehr lebendig. Links oder rechts, schon kam die nächste Entscheidung, die er fällen musste. Da entdeckte er die kleinen Messingschilder, die den Gästen am Eingang der beiden Gänge links und rechts des Treppenhauses verrieten, welche Zimmernummern sich darin befanden.
Der Fahrstuhl war mittlerweile im Erdgeschoss angekommen, wie Kullmer im Vorbeigehen der Anzeige entnahm. Der breite, von Halogenspots ausgeleuchtete Gang, an dessen Ende sich eine spitz zulaufende Nische ohne Fenster befand, war mit einem azurblauen Teppich ausgelegt, eine Farbe, an die Kullmers Augen sich erst gewöhnen mussten. Doch in das schlichte, moderne Ambiente passte er eigentlich ganz gut, die Bodenfliesen und die Wände waren in Cremeweiß gehalten, die Türen waren hellbraun, wahrscheinlich Birke. Zimmer 314 war gleich die zweite Tür rechts. Peter Kullmer schlich sich leise heran und legte das Ohr auf die kühle, glatte Holzoberfläche der Tür. Nichts. Er überlegte kurz, ob er anklopfen oder lieber gleich eintreten sollte, entschied sich dann für die erste Variante. Unten auf der Straße wartete kein Polizeiaufgebot mit Sirenen, Mason war also nicht vorgewarnt, und die aus amerikanischen Filmen hinlänglich bekannten Feuertreppen gab es hier nicht. Eine kinoreife Flucht aus dem dritten Stock oder das Durchsieben der Tür mit Maschinengewehrfeuer war also denkbar unwahrscheinlich, dennoch trat Kullmer einen Schritt zur Seite, bevor er mit dem Zeigefingerknöchel kräftig auf das Holz hämmerte. Keine Reaktion. Kullmer lauschte einige Sekunden, dann schob er die Codekarte in den Schlitz unter der Klinke. Eine grüne Leuchtdiode verriet ihm, dass das Schloss nun entriegelt war, völlig geräuschlos, wie er beeindruckt feststellte. Er drückte die Klinke hinunter und schob die Tür nach innen.
Das Zimmer war ebenfalls hell und modern eingerichtet, blauer Teppichboden, helle Holzmöbel, ein Schrank, zwei Nachttische, ein Doppelbett. Kullmer fiel sofort auf, dass das Bett unberührt war. Vor dem gekippten Fenster wehte ein dünner Vorhang in der sanften Brise, die Geräusche des Straßenverkehrs waren kaum zu hören.
Aber wo zum Teufel steckte Mason?
Kullmer stieß die Badezimmertür auf – leer.
Er öffnete den Kleiderschrank – leer.
Verdammt.
Dann läutete das Telefon, und der Kommissar zuckte erschrocken zusammen. Er sprang in einem großen Satz durch den Raum und riss den Hörer ans Ohr.
»Ja?«, bellte er.
»Herr Kullmer?« Es war die Stimme der kleinen Asiatin.
»Ja, wer denn sonst?«, erwiderte er aufgebracht. »Außer mir ist keiner hier!«
»Deshalb rufe ich ja an«, sagte die Hotelangestellte ruhig. Offenbar war sie bestens geschult für den Umgang mit cholerischen Gästen, sie ließ sich jedenfalls nichts anmerken. »Der Gast aus Zimmer 314 hat soeben unser Hotel verlassen.«
»Wie bitte? Er hat
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