Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
dem Boden des weiß verputzten Raumes unterstrichen dieses Ambiente. Dekadent hatte Hellmer es genannt, der sich bislang als Einziger von Julias Kollegen hierher verirrt hatte.
»Na prima, eine Riesenwanne, aber kein Klo«, hatte er gesagt. Tatsächlich war die Toilette in einem separaten Raum untergebracht.
»Du musst gerade reden«, hatte sie geantwortet. »Wer von uns beiden kommt denn mit einem Porsche zum Dienst?«
Ansonsten waren die ersten Wochen in ihrem neuen Domizil eher einsam gewesen. Julias Vater hatte sich ganz zu Anfang eine Stippvisite natürlich nicht nehmen lassen. Peter Kullmer und Doris Seidel standen ihr zwar als Kollegen relativ nahe, aber eben nicht so, dass man sich gegenseitig nach Hause einlud. Schon gar nicht als Pärchen, wenn man selbst niemanden hatte. Julia lächelte und sah auf die Uhr. Wäre bestimmt witzig, Kullmers Blick zu sehen, wenn ich ihn zu einem Pärchendinner einladen würde und ihn dann mit meiner heutigen Verabredung konfrontiere. Macho blieb Macho, ganz gleich, wie glücklich er mit seiner Doris sein mochte, und ein Date mit drei Frauen spräche ganz bestimmt seine geheimsten Instinkte an. Es war Alina Cornelius, auf deren Wiedersehen sich die Kommissarin an diesem Montagabend freute, wenn auch mit gemischten Gefühlen.
Nach dem zermürbenden Gespräch mit ihrem Vorgesetzten hatte Julia Durant Berger eine Lösung präsentiert, die zwar recht unkonventionell war, aber für alle Beteiligten einen fairen Kompromiss bildete. Nirgendwo in den Dienstvorschriften stand, dass es ein hauseigener Psychologe sein musste, den traumatisierte Beamte aufsuchen sollten. Verbindlich war nur, dass es ein anerkannter Psychologe oder Psychotherapeut sein musste, und diese Voraussetzung erfüllte Alina Cornelius. Besser mit ihr über alles reden als mit jemand anderem, hatte Julia für sich entschieden. Immerhin wusste niemand besser als Alina, was die Kommissarin im Sommer 2007 durchgemacht hatte, denn Holzer hatte sie ja unmittelbar vor Julia in seine Gewalt gebracht. Drei Monate nach ihrer Befreiung hatte Alina ihre kleine, gut frequentierte Praxis wieder eröffnet, und nur wenige Tage nach Julias Rückkehr hatten sich die beiden Freundinnen das erste Mal getroffen. Es hatte ein paar weitere Treffen gegeben, mal Kino, mal auf einen Kaffee, dann einen Bummel durchs Main-Taunus-Zentrum, aber stets öffentlich. Es stand eine Menge Unausgesprochenes zwischen ihnen, und keine von ihnen hatte bisher den Schritt gewagt, ihre besondere Beziehung durch die düstere Erinnerung an ihre Entführung zu belasten.
Als Julia Durant gegen 20.30 Uhr vor dem Hochhaus, in dem Alina wohnte, parkte, überlegte sie noch immer, wie sie es am geschicktesten anstellen sollte. Am besten geradeheraus, sagte ihre innere Stimme, doch eine andere Stimme wurde sofort laut und warnte davor, mit der Tür ins Haus zu fallen. Versteck dich lieber hinter Berger, lautete die zweite Strategie.
Julia näherte sich dem Haus und fühlte sich dabei von mehreren Seiten beobachtet. Auf einem Balkon im zweiten Stock wurde gegrillt, und drei Männer in weißen, ärmellosen Feinripp-Hemden, allesamt älter als sie, braungebrannt, doch mit schlaffen Bäuchen und Oberarmen, schienen sie mit ihren Blicken ausziehen zu wollen. Auf der anderen Seite, links des Zugangsweges, saß im ersten Stock eine alte Frau mit miesepetrigem Gesichtsausdruck mit verschränkten Armen auf ein Kissen gebeugt. Dieses lag auf dem breiten Sims der Balkonumrandung zwischen üppigen, rot und weiß blühenden Geranien, deren schlaff hängende Triebe jedoch darauf hindeuteten, dass sie heute noch keine Gießkanne gesehen hatten.
Als Julia Durants Finger das Klingelschild hinaufwanderte, erinnerte sie sich an ihren ersten Besuch. Waren es damals sieben deutsche und drei ausländische Namen gewesen? So ähnlich zumindest, grübelte sie, jedenfalls hatte sich an dem Verhältnis nichts geändert. Die Hausordnung war aktualisiert worden und hing, in größerem Format und laminiert, an ihrem alten Platz neben den Briefkästen. Der Außenbereich und die Fassade wirkten sehr gepflegt. Durant musste unwillkürlich lächeln, denn ihr altes Mehrfamilienhaus hatte alles andere als solch ein geordnetes Bild aufgewiesen, und sie hatte sich seinerzeit auch nicht vorstellen können, derart bieder zu leben. Der Eingangsbereich der Holzhausen-Wohnanlage allerdings, in der sich Susannes alte Wohnung befand, wies beinahe schon erschreckende Parallelen auf.
So ändert sich
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