Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Schweigend verharrten die beiden eine Weile, und Julia schmiegte den Kopf an Alinas Arm. Ihre Haut roch angenehm dezent blumig, womöglich war es nur eine Hautcreme. Aber Julia mochte es. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich, als wäre sie von einer großen Last befreit, und wenn nicht für immer, so zumindest für eine gewisse Zeit. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr.
»Hängt dir noch ganz schön nach, wie?«
»Schon«, nickte Julia. Zweifelsohne zielte Alinas Frage auf ihr gemeinsames Trauma der Entführung.
»Ist bei mir nicht anders«, sagte Alina, »im Gegenteil. Ich träume immer wieder von dem Gewölbe, und manchmal bilde ich mir ein, dass ich den Stich noch spüre, wo die Nadel in meinen Hals drang. Mensch, das kann man keinem verständlich machen, der es nicht selbst durchlebt hat.«
»Siehst du, deshalb habe ich auch keine Lust auf den Gutachter. Erstens ist er kein sehr sympathischer Zeitgenosse, und dann hat er auch noch ein Büro im selben Haus. Dieses Maulzerreißen von den Kollegen ist ja jetzt schon kaum zu ertragen.«
»Kann ich gut verstehen.« Alina Cornelius zog ihren Arm wieder zu sich und lehnte sich nach vorn. »Wie kann ich dir dabei helfen? Wie ich dich kenne, hast du schon eine Idee.«
»Na ja«, druckste Julia zunächst, entschied sich dann aber für den direkten Weg, »es kann mir niemand vorschreiben, zu welchem Psychologen ich gehen muss.«
»Das wäre ja auch noch schöner! Weißt du, wie wichtig gerade in diesem Bereich die persönliche Basis zwischen Arzt und Patient für das Vertrauensverhältnis ist?«
Julia konnte es sich nur allzu gut vorstellen. Sie erinnerte sich an die lüsternen Blicke ihres ersten Therapeuten in Südfrankreich. So sympathisch er auch auf den ersten Blick gewesen sein mochte, die Erinnerung war nur noch widerlich.
»Ganz schön frech übrigens, deine Idee, nun ausgerechnet zu mir zu kommen«, warf Alina provokant in den Raum. Bevor Julia darauf reagieren konnte, fuhr sie bereits fort: »Wir sollten das jetzt ganz genau durchsprechen, okay? Du hast bestimmt irgendwelche Auflagen.«
Kommen wir also zum geschäftlichen Teil, dachte Julia und nickte.
»Ja, stimmt. Berger hat das Ganze erstaunlich schnell abgesegnet, allerdings will er die Sitzungen nachgewiesen haben, um das formell nach oben hin zu vertreten. Die machen ihm wohl ganz schön Druck wegen mir.«
»Das kriegen wir hin.« Alina überlegte schnell und zählte dann im Stillen irgendetwas an ihren Fingern ab. Gespannt wartete Julia auf das Ergebnis.
»Okay, pass auf«, begann die Psychologin. »Ich verschreibe dir zunächst einmal fünfundzwanzig Sitzungen à fünfundvierzig Minuten …«
»Ach du Scheiße!«, platzte Julia heraus, bekam jedoch sofort mit einem strengen »Pssst – lass mich ausreden!« jeden weiteren Kommentar untersagt.
»Also fünfundzwanzig mal eine Dreiviertelstunde, damit die Krankenkasse wenigstens zwanzig davon genehmigt. Dürfte sich mit posttraumatischer Therapie ohne Probleme durchkriegen lassen. Von den zwanzig Terminen musst du dann mindestens die Hälfte, besser fünfzehn absolvieren, damit ich dir einen Erfolg bescheinigen kann. Heute zählt als Vorgespräch, ich empfehle zwei Termine pro Woche, blocke dann aber je zwei Sitzungen auf einen Doppeltermin. Wenn ich richtig gerechnet habe, bist du in sieben Wochen durch.«
»Wow«, sagte Julia und stieß einen beeindruckten Pfiff aus.
»Ach ja, noch etwas«, ergänzte Alina ihre Aufzählung, »du bleibst natürlich aufgrund der umfassenden Therapiebegleitung voll diensttauglich. Es liegt allerdings letztlich bei deinem Boss zu entscheiden, wann er dir eine leitende Ermittlung übertragen wird.«
»Klar.«
Irgendein Haken musste ja kommen, dachte Julia. Aber sie war plötzlich mit einem Mal zuversichtlich, dass sie diese Hürde nehmen würde.
»Ich danke dir«, wandte sie sich an ihre Freundin und berührte sie sanft an der Schulter. »Ganz ehrlich, ich kann’s dir gar nicht sagen, wie sehr du mir damit hilfst.«
»Dafür sind Freunde doch da«, lächelte Alina und ließ sich wieder zurück an Julias Seite fallen. Eine lange Zeit saßen die beiden Frauen aneinandergekuschelt da, sprachen dabei kein Wort, genossen nur ihre Nähe und lauschten der Musik, die leise, wie aus weiter Ferne, aus der Stereoanlage klang.
Dienstag
Dienstag, 9.35 Uhr
E rleichtert, dem muffigen Geruch von öligem Metall, Zigarettenrauch und Urin zu entkommen, verließ Alexander Bertram die U-Bahn-Station an der Konstabler
Weitere Kostenlose Bücher