Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
so viele Hochs und Tiefs durchschritten hatte.
»Na klar, Julia«, raunte er, »ich passe auf dich auf. Versprochen.«
»Dann raus jetzt, aber schnell!«, sagte sie mit einem Schniefen und wischte sich mit einer schnellen Kopfbewegung eine Träne an die Schulter. »Zum Rumheulen haben wir keine Zeit.«
Dienstag, 11.55 Uhr
N achdenklich ließ Alexander Bertram seinen Blick über die Dächer Bornheims wandern, abwechselnd über alte Fassaden und Bausünden der siebziger Jahre. Noch fünf Minuten, dachte er, als seine Augen wieder zurück an den Arbeitsplatz kehrten und die Digitaluhr unten rechts in der Taskleiste erfassten. Die Büroräume der Firma iTeX24 Internet Design befanden sich in der neunzehnten Etage des Shell-Hochhauses am Nibelungenplatz, gegenüber dem Gelände der Fachhochschule. Triste sechzig Quadratmeter, unterteilt in drei Haupträume mit einer winzigen abgeteilten Kaffeeküche. Ein Raum davon Chefbüro, die anderen beiden mit vier Computerarbeitsplätzen ausgestattet, vernetzt mit einem externen Server. Einfache, funktionale Büroeinrichtung, dafür umso modernere Hardware. Ausgetretener, türkisfarbener Teppichboden, wahrscheinlich voller Lösungsmittel und Chemiekeulen, die Wände langweilig weiß und im unteren Bereich voller grauer und schwarzer Abriebspuren. Die Glasfassade mit Blick nach Osten sorgte zumindest für eine angenehme Durchflutung mit Tageslicht, wenn auch der Blick auf die Skyline im Süden sicher beeindruckender gewesen wäre. Ein Penthouse-Kalender verzierte die Küchenzeile, gerade so versteckt, dass die Laufkundschaft ihn nicht zu Gesicht bekam. Kundenverkehr gab es regelmäßig, aber es war nicht so, dass sie ihnen die Bude einrannten.
Neben Bertram arbeiteten dort drei weitere Personen, allesamt männlich und keiner älter als dreißig, der Chef einmal ausgenommen. Holger Börner, eins neunzig groß, dunkelhaarig, trainiert und unglaublich gutaussehend, hatte diesen runden Geburtstag im Januar gefeiert, recht ausschweifend, wie man sich erzählte. Er war genau genommen überhaupt nicht der Typ, den man sich in einer IT-Firma vorstellte. Der Schwerpunkt von iTeX24 war Webhosting und die Erstellung und Pflege von Internetpräsenzen aller Art, oftmals monotone Bildschirmarbeit, die man breitköpfigen Brillenträgern mit schütterem Haar zutraute, nicht aber einem Dressman wie Börner. Im Gegensatz zu seinen anderen Kollegen hatte Alexander Bertram der Feier seines Chefs trotz Einladung nicht beigewohnt, ebenso wenig zeigte er Interesse an anderen gemeinsamen Aktivitäten. Der Job war nichts weiter als ein notwendiges Übel, ebenso wie vorher das Studium, das Bertram im Sommer 2009 beendet hatte.
11.58 Uhr, bald geschafft, dachte er. Dann würden sie endlich alle zum Essen verschwinden, und er war dann für mindestens eine halbe Stunde alleine. Ungestört.
»Bis später, Alex!«, erklang auch schon die Stimme seines Chefs, und Bertram zuckte leicht zusammen. Er mochte seinen Namen nicht, schon gar nicht die Kurzform. Zu viele Erinnerungen an die kurzen, einschüchternden Befehlstöne des Generals. Doch das ist Vergangenheit, mahnte er sich und wischte die Erinnerungen beiseite.
»Ja, wir sehen uns gleich«, erwiderte er, »guten Appo.«
Dann öffnete er seine Brotdose.
»Krümel mir ja nicht in die Tastatur!«, lachte Holger und verließ den Raum, die beiden Mitarbeiter im Schlepptau. Um 12.02 Uhr loggte Bertram sich unter dem Nickname V1d0c in einen Chatroom ein. Wie üblich benutzte er eines der zahlreichen Funknetzwerke, die rund um das Bürogebäude herum sendeten. Die meisten von ihnen waren nur wenig, einige davon überhaupt nicht gesichert. Heute hatte er sich für das WLAN mit der Bezeichnung wlanbox7170 entschieden, vergangenen Donnerstag war es das_schwarze_netz gewesen. So kreativ die Menschen manchmal mit der Benennung ihrer Heimnetzwerke waren, so stümperhaft waren ihre Verschlüsselungssequenzen.
Es waren drei User online, deren Nicknames Bertram auf Anhieb erkannte. Zwei weitere, phoen1xxx und liL-Gal , sagten ihm nichts, möglicherweise waren es auch User, die ihren Namen gewechselt hatten. In der Szene war es üblich, sich ab und an umzubenennen, man behielt dabei aber in der Regel einen Teil seines Namens. Alexander Bertram hatte sich bis vor einigen Wochen noch V1Px genannt. Der Chat verlief sachlich, in einfachem Englisch, wobei es Bertram nicht entging, dass der User dth_gambler dabei nicht in seiner Muttersprache schrieb. Binnen weniger
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