Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
sogar einen Wald inmitten der Großstadt. Kullmer parkte seinen Wagen im Schatten, schloss ab und versuchte, sich zu orientieren. Jede Wohnung sah gleich aus, gelbe Wände mit weißen Fensterläden, grau abgesetzte Eingangsbereiche. Mülltonnen standen in Reih und Glied neben den Gehwegplatten, vier Stück pro Haus, in Schwarz, Braun, Grün und Gelb. Die einzigen Unterschiede erkannte man beim Betrachten der Hecke und der Gestaltung des Vorgartens. Hier stand eine Wäschespinne, da eine Hollywoodschaukel, anderswo ein englischer Rasen und dann wieder Planschbecken und Sandkasten. In Helga Stieglers Vorgarten war ein Apfelbaum, auf einem mit Betonsaum abgetrennten Beet wuchsen Rosen und einige Kräuter.
»Guten Tag, Herr Kullmer«, begrüßte Frau Stiegler ihn, als sie die Haustür öffnete. Es war offensichtlich, dass sie geweint hatte, sie trug dieselbe Kittelschürze wie am Vortag, war aber ordentlich frisiert.
»Bitte, kommen Sie herein. Ich habe zwei Tage freibekommen, wissen Sie, ich sollte sogar den ganzen Rest der Woche freinehmen. Aber was soll ich hier«, seufzte sie, »hier fällt mir ja doch nur die Decke auf den Kopf.«
Sie verbarg schnell ihr Gesicht und huschte ins Treppenhaus. Kullmer folgte ihr, sie betraten die kleine Küche, in der es nach Suppe roch. Ein Topf stand dampfend auf dem alten Herd, eine Terrine auf dem Esstisch. Wie bei seinem ersten Besuch wählte Kullmer die Eckbank.
»Möchten Sie etwas mitessen?«, fragte Frau Stiegler, hob den Topfdeckel und rührte einmal um. »Ist schon fertig, ich habe wohl viel zu viel gemacht.« Sie erledigte noch ein paar Handgriffe, es klapperte blechern, dann zischte es. Peter Kullmer fühlte sich zurückversetzt in seine Kindheitstage, damals, als er jeden Samstag in der Küche seiner Großeltern saß und ihm die wunderbarsten Düfte in die Nase stiegen.
»Ja, ich glaube schon«, sagte er unsicher. »Danke schön.«
Warum auch nicht?
Sie aßen schweigend die dampfende Suppe, in der Rindfleischstücke schwammen, Nudeln und einige der Gartenkräuter, an denen er auf dem Weg ins Haus vorbeigegangen war.
»Köstlich«, unterbrach Kullmer nach einiger Zeit das Klappern der Esslöffel, »so eine Suppe habe ich lange nicht mehr gegessen.«
»Ach, gehen Sie, das ist doch kein Kunststück. Brühe, ein paar Kräuter, Suppengrün, und wenn man mag, einen Knochen mit Fleisch, das können Sie auch selbst«, lächelte Frau Stiegler.
»Na, ich werde es mal versuchen«, entgegnete Kullmer. Er wollte gerade den Bogen schlagen und auf den Fall zu sprechen kommen, da fügte sie hinzu: »Sie haben doch bestimmt eine Frau, die das kann, oder?«
»Ja, also, eine Lebensgefährtin.« Ihn überkam ein ungutes Gefühl.
»Haben Sie auch Kinder?«
Jetzt war es also geschehen. »Nein«, sagte er schnell und schaufelte sich einen Löffel Suppe in den Mund. Genau das hatte er vermeiden wollen.
Helga Stiegler fragte nicht weiter, bekam einen schwermütigen Blick und zog ein verknittertes rosafarbenes Stofftaschentuch hervor. »Ach, Herr Kullmer, es ist alles so sinnlos«, schluchzte sie, »entschuldigen Sie bitte.« Sie schneuzte sich.
»Kein Problem.« Kullmer zog eine Packung verknitterter Tempos aus der Hosentasche. »Hier, nehmen Sie nur. Fressen Sie es nicht in sich hinein. Meine Kollegin hat Ihnen doch ihre Karte dagelassen, oder?«
Helga Stiegler nickte. Eine Träne rann ihr über die Wange, sie zog eines der Papiertücher aus der Packung und wischte sie weg. »Danke«, kam es leise.
»Rufen Sie an, jederzeit, ich kann es Ihnen nur ans Herz legen«, sagte Kullmer. Er schwieg einen Moment, dann fuhr er in ruhigem Ton fort: »Darf ich mir noch einmal Carlos Zimmer ansehen?«
Ein weiteres Nicken.
»Und wenn es geht, bräuchte ich auch noch Infos über Freunde oder Studienkollegen. Meinen Sie, während ich mich umsehe, Sie könnten mir eine Liste machen?«
»Ach, da gab es nicht viele«, überlegte Helga Stiegler laut, »eigentlich sogar nur einen. Aber ich kann Ihnen da, glaube ich, gar nicht viel sagen.«
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Na ja, ein junger Mann eben, so alt wie Carlo, genauso groß, kurze Haare, so etwa Ihre Farbe, braune Augen, glaube ich, mehr fällt mir nicht ein.«
»Na, das ist doch schon einiges«, kommentierte Kullmer mit einem Lächeln, obwohl ihm diese Beschreibung rein gar nichts nutzte. Abgesehen vielleicht vom Alter traf dieses Personenprofil wohl auf jeden zweiten oder dritten Mann zu, ihn eingeschlossen.
»Sie können ja noch
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