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Todesmelodie

Todesmelodie

Titel: Todesmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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buchstäblich durchtränkt.
    Wieviel blieb ihr noch?
    Ann fühlte sich plötzlich benommen, sie mußte die Hand ausstrecken und sich an einem Baum festhalten. Die Rinde zerkrümelte unter ihren Fingern, und die Feststellung, daß der Baum abgestorben war, ließ aus irgendeinem Grund tiefe Traurigkeit in Ann aufsteigen. Es erinnerte sie an Jerrys Tod, wie plötzlich alles um sie herum die Erinnerung an Jerry wieder wach werden ließ – besonders die dunkle Masse, die aus der Wunde an ihrem Schädel tropfte.
    Ich muß es wirklich stoppen, und zwar bald!
    Ein Befehl, der wie in einem Traum durch ihre Gedanken zog. Sie ließ ihren rechten Arm los und preßte die linke Hand auf die Wunde, die sich klaffend und grob anfühlte und höllisch weh tat. Auch der rechte Arm begann jetzt wieder mehr zu schmerzen, alles brannte. In Anns Kopf begann es zu pochen, tief innen, als sei ihr Herz in ihren Schädel verpflanzt worden.
    Wo war sie? Was tat sie hier? Sie mußte zur Brücke hinauf, richtig! Wenn sie es bis auf die Brücke schaffte, konnte sie sich hinsetzen, ihre Jacke und ihr Sweatshirt ausziehen und das Sweatshirt in lange Streifen reißen, um eine Bandage für ihren Kopf zu machen. Hier unten dagegen, neben diesem toten Baum, würde sie vielleicht auch sterben. Es war sehr dunkel hier unten, und sie hatte die Dunkelheit nie gemocht!
    Ich bin dabei den Kampf zu verlieren!
    Der Gedanke half wenig, um das Chaos in ihrem Kopf zu klären. Schließlich folgte sie einer schmalen Treppe zum nördlichen Ende der Brücke. Während sie ihre Füße mühsam die einzelnen steinernen Stufen hochzwang, hatte Ann das Gefühl, sie sei zurück in einer alptraumhaften Stadtlandschaft und befinde sich in einem Aufzug auf dem Weg zur obersten Etage eines Einkaufszentrums, in der alle Geschäfte blutgetränkte Kissenbezüge verkauften. In ihren Augen waren nur rote und schwarze Punkte, aber als ihre Schmerzen stärker wurden, begann in ihrem Kopf ein grelles weißes Licht zu leuchten.
    Hätte ich bloß keinen Anlauf genommen!
    Ann hatte die Brücke erreicht, stolperte bis zur Mitte und brach zusammen.
    Und hätte ich bloß nie diesen dummen Plan ausgeheckt!
    Aber es war nicht sie selbst gewesen, die sich diesen Plan ausgedacht hatte – Gott hatte ihn ihr eingegeben, und jetzt versuchte er, sie zu töten! Na gut, zur Hölle mit ihm! Sie würde nicht sterben, sie würde leben. Alles, was sie zu tun hatte, war, sich das Sweatshirt um den Kopf zu wickeln und ihr Gehirn wieder an seinen Platz zu bringen, dann würde sie wieder klar denken können.
    Unter ihr lagen scharfkantige Planken, und die seitlichen Geländer der Brücke bestanden aus vier verschiedenen Reihen ausgefranster Taue. Ann beugte sich vor und lehnte sich mit der Stirn gegen eins der Taue. Sie hatte vor, nur eine Minute auszuruhen, aber ihr Schlafmangel und die Erschöpfung durch den Blutverlust ließen das nicht zu: Die tosende Strömung des Whipping River unter ihren baumelnden Füßen, verlor sie das Bewußtsein…

 
    10. Kapitel
     
     
     
    Es war ein Traum, ein schöner Traum von dem, was hätte sein sollen. Sanft schien warmes Sonnenlicht durch gelbe Vorhänge. Der Raum war von Musik erfüllt; Sharon spielte auf ihrem Klavier, und Jerry sang dazu. Im wirklichen Leben hatte Jerry mitgesummt, wenn Sharon spielte, aber er hatte eine Stimme, wie sie nur eine Mutter lieben konnte. Hier jedoch, an diesem magischen Ort, war seine Stimme klar und stark und voller Liebe für Sharon, sein Gesang eine Verheißung für die Zeit die ihnen gemeinsam blieb.
    Als sie die beiden so glücklich sah, stieg auch in Ann ein großes Glücksgefühl, eine große Liebe für sie auf; Jerry war ihr geliebter Bruder, Sharon ihre beste Freundin, und so würde es immer bleiben. Das Licht das durch die Vorhänge schien, war golden, und sie waren im Himmel.
    Aber alles konnte nur ein Traum sein, das begriff Ann sogar, während sie es träumte. Sie glaubte nicht an einen Himmel, so etwas existierte nur als flüchtiges Gefühl.
    Trotzdem hatte Ann jetzt den Eindruck, daß es ewig dauern konnte. Wenn es ihr nur gelang, den Augenblick festzuhalten, würde die Szene nicht wieder verschwinden. Deshalb streckte sie die Hand aus, um die beiden zu berühren, und Jerry hörte auf zu singen und Sharon auf zu spielen, und sie wandten sich lächelnd zu ihr um. Dann kamen auch sie näher, wie sie es gehofft hatte, um sie zu umarmen, aber als sie sie berühren wollte, begannen sie zu verblassen, und eine andere, eine

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