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Todesmelodie

Todesmelodie

Titel: Todesmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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Wochen zuvor hatte sie dasselbe Seil oben auf die Klippe getragen, aber seitdem hatte sie eindeutig einiges an Kraft verloren – und mehrere Liter Blut…
    Die Wunde an ihrem Kopf blutete immer noch. Nach ihrem eiskalten Bad hatte Ann kurzfristig gehofft, es würde aufhören, aber das war Wunschdenken gewesen. Dieser Blutverlust war eine ernste Sache, und Ann wußte, daß sie die Blutung irgendwie zum Stillstand bringen mußte – aber das bedeutete, ein Stück Stoff auf die Wunde zu pressen, das sie nicht hatte, mit ihrer linken Hand, die sie brauchte, um den rechten Arm ruhigzustellen. Auch der Arm hörte nicht auf, unerträglich zu schmerzen, und Ann war tatsächlich fast soweit, ernsthaft zu erwägen, sich einfach hinzusetzen und auf die andern zu warten.
    Ich könnte sagen, ich sei aus Versehen von der Klippe gefallen, im Wasser gelandet und hätte es überlebt. Das würde zwar ziemlich unwahrscheinlich klingen, aber sie müßten mir glauben.
    Doch schließlich ließen ihr Stolz und ihr Wunsch nach Rache sie anders entscheiden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, Paul gegenüberzutreten und zuzugeben, daß sie aufgegeben hatte. Sie mußte weitermachen und weiterleiden…
    Ann machte sich auf den Weg flußabwärts. Ihr erstes Ziel war die Brücke, die etwa zweieinhalb Kilometer entfernt von hier kurz vor dem Winter Lake lag. Chad hatte gesagt, die Brücke würde nur selten benutzt, denn das sie umgebende Gelände war schwierig, und nur wenige Menschen kamen überhaupt bis dorthin. Außerdem verdiente die Brücke diese Bezeichnung eigentlich gar nicht, denn sie bestand aus nichts als ein paar Tauen und gesplitterten Hölzern und war eine sehr wackelige Angelegenheit. Sehr wenige Leute wagten sie zu benutzen. Es war dieselbe Brücke, die vor Jahren ihre Erbauer das Leben gekostet hatte, und sie war nie vollendet worden.
    Zweieinhalb Kilometer – unter normalen Umständen hätte Ann dafür kaum eine halbe Stunde gebraucht, denn sie ging sehr zügig. Doch diese Strecke kam ihr mindestens fünfmal so lang vor, denn sie mußte nah am Fluß entlanggehen, die Wände der Schlucht zwangen sie dazu, und ohne Taschenlampe war es schwierig, sich zwischen den Felsblöcken zu bewegen. Aber Ann bereute es nicht, Sharons Lampe vor ihrem Sprung fortgeworfen zu haben, denn es wäre eine zu große Versuchung gewesen, und in dieser Dunkelheit hätte man jeden Lichtschein kilometerweit gesehen.
    Sie blickte auf ihre Uhr, die noch funktionierte, und sah, daß es zehn Uhr vierzig war. Seit ihrem Sprung waren zwanzig Minuten vergangen. Die anderen mußten jetzt auf dem Weg zum Fuß der Klippe sein, geführt von Chad, der wahrscheinlich weinte.
    Nur nicht daran denken!
    Ann kämpfte sich voran und stellte fest, daß das Laufen ihr tatsächlich half: nicht lange, und sie hörte auf zu zittern. Als sie früher an diesem Abend beschlossen hatte, ihre dicke wollene Unterwäsche anzuziehen, hatte sie einen guten Griff getan, denn obwohl sie naß war, hielt die Wolle ihre Körperwärme zurück. Ann wünschte nur, sie hätte das gleiche über ihre Daunenjacke sagen können, die wie ein bleiernes Gewicht auf ihren Schultern hing. Wäre nicht die Angst gewesen, jemand könne sie finden, sie hätte sie sofort ausgezogen und zurückgelassen.
    Zuerst kam Ann schnell voran. Sie stellte sich vor, wie angenehm es sein würde, unter einer brennenden tropischen Sonne an einem makellos weißen Sandstrand zu liegen und in den Zeitungen die Berichte über Sharons Prozeß zu lesen. Das half ihr, sich die Zeit zu vertreiben, und lenkte sie von den Schmerzen in ihrem Arm ab. Aber als sie endlich die Brücke vor sich aufragen sah, die in dreißig Metern Höhe eine außergewöhnlich schmale Stelle der Schlucht überspannte, wurde sie plötzlich von ihren Schmerzen und ihrer Erschöpfung eingeholt. Die Brücke schien im leichten Wind hin und her zu schwingen – nur konnte Ann keinen Windhauch spüren. Bis auf das Getöse des Flusses war die Luft ganz ruhig und unbewegt. Es mußte sie selbst sein, die taumelte!
    Ann blickte an ihrer rechten Schulter hinunter – sicher hatte eine unbewußte Angst sie bisher davon abgehalten, es zu tun. Sie hatte zwar gewußt, daß sie noch immer blutete, denn es war unmöglich gewesen, die klebrige Feuchtigkeit zu ignorieren, die an ihren verfilzten Haaren hinunterlief, aber sie hatte sich absichtlich nicht eingestanden, wieviel Blut sie verlor. Ihre rechte Schulter und fast ihr ganzer rechter Ärmel waren davon

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