Todesmuster
Schwung, der Wein schwappt, zwei Spritzer aufs gelbe Handtuch. »Oh!« Ohne wirkliche Reue.
»Das geht nicht mehr raus.« Wahrscheinlich wirklich nicht mehr.
»Dann erinnerst du dich immer an diesen Abend, wenn du sie siehst.« Zwei große Schlucke. »Außerdem, werd mal nicht spießig, das hab ich zu Hause.« Zunge raus. Ihr Blick wandert von oben nach unten und wieder zurück. »Du hast unheimlich dicke Oberschenkel, weißt du das?«
»Na, hör mal, du sprichst hier mit dem härtesten Oberliga-Vorstopper der 80er Jahre westlich des Urals. Elf Komma drei auf hundert Meter. Außerdem«, der Wein riecht leicht nach Beeren, »war ich es vor dem Spiegel Leid, dass unterhalb der Gürtellinie die Proportionen nicht stimmten. Also hab ich mir die Oberschenkel auch dick antrainiert.«
Sie sieht hoch, kapiert mit vier Sekunden Verspätung. Muss ihren Wein abstellen, lacht hemmungslos, kommt langsam zu sich.
»Ach, ja, hatte ja ganz vergessen, dass du das Körperdouble von Ron Jeremy bist.« Wieder Lachen, sie stützt sich auf der Arbeitsplatte ab.
»Woher kennst du denn Ron Jeremy? Als anständiges Mädchen aus gutem Hause.«
Sie fingert sich eine Strähne aus dem Mundwinkel, trinkt. »Was glaubst du, was man im Internat für Filme zu sehen bekommt. Eine von uns hatte sogar ein Ron-Jeremy-Poster als Klappbild hinter einem gerahmten Bibelspruch an der Wand. Man musste den Rahmen nur kurz vorziehen, schon klappte Ronny seine Argumente aus.«
»Da wurde also der Grundstein gelegt.«
»Schon möglich«, mit Blick über den Glasrand. »Und woher kennst du solche Filme.«
»Früher hab ich mal Urheberrechtsverletzungen bearbeitet, ist Ewigkeiten her, und damals stellten sich einige Videothekenbesitzer ihre Verleihkopien selber her. Da mussten wir dann den ganzen Kram sicherstellen, archivieren und begutachten lassen. Mindestens die Hälfte der Kassetten waren schon damals Pornos.«
»Mmh.« Sie lehnt sich zurück.
»Das Problem war damals nur, dass an dem Tag, an dem das ganze Verfahren samt Beweismitteln zur Staatsanwaltschaft gebracht werden musste, man wieder alle Kassetten beisammen hatte, die die Kollegen mit nach Hause genommen hatten.«
Sie bleibt stumm, Seufzer, in ihrem Lächeln etwas Weiches, Wehmütiges.
»Es ist schön mit dir, Konni, sehr schön. Nirgends kann ich so unbeschwert sein wie bei dir.« Ausgestreckter Arm, ihre Finger fordern zum Kommen auf. Langer Kuss. »Und ich bin unsicher.«
»Wie? Unsicher?« Im Hals wächst langsam ein Kloß. Was wird das?
»Unsicher und durcheinander. Die vielen Wochen, als du weg warst. Ich habe noch nie solche Sehnsucht …«
Das Telefon.
Jetzt? Wer ruft denn jetzt an? Gerdas Nummer auf dem Display. Gerda?
»Hallo Schwesterchen, was ist los?«
»Ich bin im Krankenhaus. Mutter ist eingeliefert worden, bewusstlos. Frau Stoppenkötter hat angerufen, die hat sie im Bad gefunden.«
Blaue Gesichtshaut, verdrehte Glieder, aufgeschlagene Stirn, Blut auf den Fliesen.
»Wie geht’s ihr?«
»Keine Ahnung, gleich spreche ich mit dem Arzt.«
»Wo bist du?«
»Im Evangelischen.«
»Ich bin in zwanzig Minuten da.« Im Nacken Kribbeln, wie fließender Strom.
Carmen, Glas in der Hand, mit Fragezeichen in den Augen.
»Meine Mutter ist im Krankenhaus. Von einer Nachbarin gefunden worden. Ist wohl ohne Bewusstsein.«
Die Socken liegen neben der Unterhose im Sessel, das T-Shirt hängt über der Lehne.
»Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie es sich anhört.«
»Ja, vielleicht. Ich fahre.« Kuss. »Schlaf schon mal, warte nicht auf mich.«
Sie nickt stumm.
01 Uhr 35
An der Säule im ersten Stock ein Wegweiser mit drei Millionen Pfeilen. Die Treppe hoch und dann sehen Sie’s schon. Klasse. Neurologie I, EKG, Labor, Endoskopie, Medizinische Intensiv. Das war’s. Rechts. An den Wänden Ölbilder mit Wassermotiven, im nächsten Flur Blumen, auch in Öl, dazwischen Stühle. Med.-Int. Ein kopierter Zettel über der Gegensprechanlage: Immer nur zwei Personen gleichzeitig. Handys ausschalten. »Ja, bitte?«
»Kirchenberg, meine Mutter ist hier eingeliefert worden.« Kurzes Rauschen, kein Gruß. Warten. Die elektrische Schiebetür surrt zur Seite. Ein Langhaariger in orangefarbenen Klamotten mit müden Augen ruft was nach hinten. Sieht aus wie ein Sanjassin.
»Herr Kirchenberg?« Plötzlich freundlich: »Kommen Sie bitte mit, Ihre Schwester ist schon da.« Er geht voraus, gedämpftes Licht, fremder Geruch. Im ersten Zimmer rechts liegt einer mit Schläuchen in jeder
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