Todesmuster
der Kur im Allgäu. Der sagte, er könne sich kaum noch erinnern, spielte das Ganze auch herunter. Es sei kaum etwas vorgefallen damals.« Sie lacht höhnisch. »Außerdem seien noch Müller und Platte dabei gewesen, sagt Granzow.«
Sie schüttelt den Kopf. »Platte, warten Sie mal«, sie legt den Finger über den Mund, »das war nur ein Spitzname.« Die hat ja ein Gedächtnis, das ist ja der Wahnsinn.
»Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß.« Klar und deutlich, sie blättert weiter, ungerührt.
»Weiberarsch.« Aus dem Nebenzimmer, etwas anderer Tonfall. Besorgter Seitenblick, Seufzer.
»Platte hieß Birger Gabriel. Der war nur einige Wochen, höchstens ein paar Monate in der Klasse. Wenn ich mich richtig entsinne, war das ein Pflegekind.«
»Kraul mir die Eier, Baby.« Wieder von nebenan. Sie kann es nicht mehr überhören, steht auf, schimpft wie mit einem Menschen.
»Kleiner Problemfall. Ich arbeite eng mit dem Tierheim zusammen und die baten mich, ihn eine Zeit zu nehmen, weil ich Erfahrungen mit Beos habe. Sein Vorbesitzer ist von Ihren Kollegen festgenommen worden, weil, sagen wir mal, junge Damen für ihn arbeiteten.« Mit spitzer Betonung. »Ich dachte, Gründgens hätte einen guten Einfluss auf ihn, aber ich befürchte, wenn er noch länger bleibt, triumphiert hier das Böse über das Gute.«
»Tja, wie im richtigen Leben, manchmal. Warum hieß er Platte? Ich meine, Gabriel-Platte?«
»Das hatte, glaub ich, damit zu tun, das er kaum oder keine Haare hatte. Der Junge hatte eine Alopezie. Bei dieser Krankheit hat man keine Haare. Er trug, wenn ich mich richtig erinnere, zwar eine Perücke, aber im Sport ist die mal runtergerutscht. Und Kinder können dann gnadenlos sein.«
Sie setzt sich wieder, blättert. »Und Müller hatten wir gar nicht in der Klasse, aber, richtig, den nannten die auch nur so. Der war ein guter Fußballer, und damals gab es doch diesen, der immer viele Tore schoss. Sein richtiger Name war Gerd Schetz.« Ich vergesse schon vier Teile beim Einkaufen. »Aber diese beiden waren nicht dabei. Die wollten, glaub ich, wohl in die Bande, alle wollten da rein, aber die waren schon ein abgeschotteter Haufen. Das waren höchstens Mitläufer.«
»Gut, Frau Schaub. Danke für Ihre Hilfe. Sie haben ein bewundernswertes Gedächtnis, wenn Sie mir das erlauben.«
Entzückte Miene. Schmeicheln läuft immer. Sie kommt mit zur Tür.
»Ach ja, Frau Schaub. Was ist damals eigentlich passiert? Das hat mir bisher noch keiner gesagt.«
Stirn in Falten. »Mag ich gar nicht drüber reden. Die haben das Schwein mit in die Höhle genommen und alle möglichen Operationen«, wieder erhöhte Stimme, »durchgeführt. Die Ohren abgeschnitten, die Augen ausgestochen, um zu sehen, wie das Tier vor die Wand läuft und solche Dinge. Zum Schluss haben sie ihm bei lebendigem Leibe ein Bein entfernt und wollten eine Darmoperation vornehmen, aber dabei ist das Tier zum Glück an Stress gestorben.«
»Und wie haben Sie davon erfahren?«
»Sie sind verraten worden. Ein Mädchen aus der Klasse, Lina Lehmann, hat davon gehört und es ihrer Mutter erzählt. Die hat mir dann Bescheid gegeben.«
»Danke. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, meine Karte haben Sie ja.« Hat sie. Gruß.
»Tittenfick.« Kurz vorm Schließen der Tür.
Das war Gründgens, eindeutig.
20 Uhr 45
Sie liegt auf dem Rücken, die Brüste fallen zur Seite, Hände überm Kopf, spielen mit dem Kabel der Lampe. Es riecht nach ihr, salzig. Auf ihren Lidern Reste von Lidschatten, grün, sie atmet ruhiger, Mona-Lisa-Gesicht. Mit dem Zeigefinger aus den Schamhaaren, noch verschwitzt, zwei Runden um den Bauchnabel, um die Brüste, durch die rechte Achselhöhle zum Ellbogen. Sie lacht still, noch mal zurück in die Achsel, tapferer Kampf, nur für Sekunden. Sie schüttelt sich.
»Du hast dir ja die Achseln rasiert.«
»Wir hatten vor zwei Wochen Bankett mit allen hohen Managertieren«, ohne die Augen zu öffnen, »da war ich schulterfrei. Mein Mann macht sowieso schon blöde Sprüche. Wieso stehst du eigentlich auf so was?«
»Okay. Einmal kriegst du es ja raus. Ich muss jetzt wohl ehrlich zu dir sein.« Sie öffnet ein Auge, prüfend. »Meine Eltern sind gar nicht von hier. Mein Vater war in Wirklichkeit Missionar im Dschungel von Borneo. Als ich dreizehn war, hat mich ein Orang-Utan-Weibchen entführt und missbraucht. Ja, das ist die Wahrheit. Ich wurde von einem Orang-Utan zum Mann gemacht. Das hat mich fürs Leben geprägt.«
Gackerndes Lachen,
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