Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
zählte nur eins: Sie mussten um jeden Preis verhindern, dass Autumn Reiniger entkam und die Polizei verständigte. Aber sie saß ja am Grund dieser Schlucht fest, sechzig Kilometer entfernt vom nächsten Ort, und bald war er bei ihr. Im Augenblick musste er sich nur ans Drehbuch halten und dafür sorgen, dass Peter Reiniger spurte.
Haugen meldete sich. »Ich dachte schon, du rufst gar nicht mehr an.«
I n der schützenden Stille des Town Car legte Reiniger das Telefon ans Ohr. Der Chauffeur reihte sich in den Verkehr ein. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang verzerrt – ein tiefer, bis unter den normalen menschlichen Tonumfang gedehnter Bass, zäh wie Toffee.
»Coates?«
»Hier ist deine neue Wirklichkeit«, antwortete die Stimme. »Der Moment der kristallklaren Gegenwart.«
Reiniger schielte aufs Display. Er hatte sich nicht verwählt. »Wer spricht da?«
»Wenn du eine Zukunft erleben willst, hörst du mir ganz ruhig zu und tust genau, was ich dir sage.«
»Was soll das?«
»Ich darf präzisieren. Wenn du eine Zukunft zusammen mit deiner Tochter erleben willst, hältst du den Mund und folgst meinen Anweisungen.«
Der Town Car beschleunigte in den New Yorker Abend. Reiniger sah ohne ein Wort zu, wie die Straße unter ihm vorbeizog.
H augen legte Coates’ Handy auf die Mittelkonsole und stellte auf Lautsprecher. Draußen zuckte ein Blitz. Heftige Böen rüttelten am Wagen. Aber die gewundene, waldgesäumte Straße war wie ausgestorben, und die verzerrende Wirkung des Stimmmodulators sorgte dafür, dass Reiniger nicht aus den Hintergrundgeräuschen auf ihren Standort schließen konnte. Und er hatte auch keine Möglichkeit, ihre Position durch Triangulierung herauszufinden. Die Zurückverfolgung des Anrufs war praktisch unmöglich. Haugen hatte si chergestellt, dass Reiniger keinen Versuch unternehmen kon nte, Autumn durch einen Angriff zu befreien.
»Ich darf dein Schweigen als Zustimmung werten«, sagte er.
Reiniger blieb stumm.
»Du weißt ja, wie so was läuft. Im Fernsehen hast du es schon tausendmal erlebt. Du wirst nicht die Polizei verständigen. Und schon gar nicht das FBI . Verstanden? Ich möchte ein Ja hören.«
»Ist das ein Witz?« Reiniger wirkte erstaunlich gelassen.
»Falsche Antwort. Ich wiederhole: Du weißt, wie so was läuft. Ich bin überzeugt, dass du das beim Sicherheitstraining deines Unternehmens gelernt hast. Deine Firma ist doch ge gen Kidnapping versichert. Und du hast eine Ausbildung zum Schutz vor Entführungen gemacht. Ausgeschlossen, dass es nicht so ist.«
»Wo ist Autumn?«
»Klappe.«
Reiniger hielt die Klappe.
Unterwerfung. Haugens Blick huschte hinüber zu Sabine. Die Armaturenbeleuchtung warf einen gespenstischen Schein über ihre Gesichtszüge. Sie schnalzte mit der Zunge gegen die Zähne. Er wedelte mit der Hand, um sie davon abzubringen. Hinten auf der Rückbank kauerte Stringer in der Dunkelheit. Er wusste, wann man vor Spannung die Luft anhielt.
»Du hast diese Ausbildung gemacht. Und die Firmenschläger haben dir erzählt, du sollst sie anrufen, falls jemand entführt wird. Sie haben dir versichert, dass sie alles regeln, vom Lösegeld bis zur Rückholung, dass die Polizei nicht eingeschaltet werden muss. Schließlich wohnen wir zumindest nominell in einem kapitalistischen Land, wo der freie Markt regiert, nicht wahr?«
»Was wollen Sie?«
»Ich will, dass du am Ball bleibst, Peter. Konzentrier dich mit aller Kraft auf die Gegenwart. Du wirst den Sicherheits dienst deiner Firma nicht alarmieren. Keine Bodyguards, keine Versicherungsfuzzis, keine Schadensregulierer, keine Rambosöldner. Hier geht es nicht um eine normale Lösegeldzahlung.«
»Worum dann?«
Haugen registrierte den Stress in Reinigers Stimme. Scharf und mühsam unterdrückt. Entweder erlebte Reiniger gerade einen mentalen Zusammenbruch, oder er war nicht allein. Andernfalls hätte er bestimmt gebrüllt und irgendwas durch die Gegend geworfen. Haugen hatte Peter Reiniger genau studiert.
»Zuerst muss ich dich darauf aufmerksam machen, welche Folgen eine Missachtung meiner Direktiven hätte. Wenn du dich mit irgendjemandem außer mir in Verbindung setzt, werden Menschen sterben. Hast du verstanden? Ich will ein Ja hören.«
»Wer?«
»Fragst du nach Autumn? Oder nach ihren Freunden? Das hängt nämlich alles zusammen.« Er nahm das Handy und scrollte zu den gespeicherten Fotos. »Hier ein kleiner Appetithappen. Du möchtest doch sicher einen Beweis dafür, dass ich es ernst
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